Shrinkflation – Schrumpfkur im Supermarktregal
Wenn die Tiefkühlpizza plötzlich nicht mehr satt macht, das Paket Butter nur noch für anderthalb Kuchen reicht und die Cornflakes neuerdings immer schneller zur Neige gehen, kann das auf einen gesteigerten Appetit hindeuten. Passt nun aber die Hose unverändert gut und zeigt die Waage auch immer noch das Gleiche an, kann es eigentlich nur eine Erklärung geben: die Shrinkflation. Produkthersteller schrumpfen ihre Waren, während die Preise die gleichen bleiben. Dann sind im Sahne-Puddingpulver von Dr. Oetker nur noch drei statt wie bisher vier Pakete drin, in der Gummibärchen-Tüte von Haribo nur noch 175 statt 200 Gramm und in der Bodylotion nur noch 400 statt 500 Milliliter. Mit dieser heimlichen Verteuerung wird den ohnehin von Inflationssorgen geplagten Konsumenten vorgegaukelt, es wäre alles beim Alten geblieben. Ein Trick, der vorwiegend in Zeiten steigender Rohstoffpreise immer mehr Nachahmer findet – den Verbraucherschützer aber schon seit Langem auf dem Schirm haben.
Bis zu 3.000 Mogelpackungen pro Jahr
In der Verbraucherzentrale Hamburg beispielsweise gehen jedes Jahr bis zu 3.000 Hinweise von Konsumentinnen und Konsumenten auf geschrumpfte Produkte ein. 2022 waren es schon so viele wie sonst in einem ganzen Jahr. Auf Basis dieser Kundeninfos betreibt die Verbraucherzentrale eine „Mogelpackungsliste“: ein buntes Verzeichnis an Waren, die eigentlich mal größer oder reicher befüllt waren und nun geschrumpft sind, ohne dass der Preis ebenfalls herabgesetzt wurde. Die Liste reicht von Vanillepuddingpulver und Kartoffelchips bis hin zu Lammkoteletts und Teebeuteln. Manch ein Angebot sieht auf den ersten Blick sogar aus wie ein Schnäppchen, entpuppt sich dann aber auf den zweiten doch als Verteuerung.
Viele Schnäppchen sind gar keine
So kostete der grüne Tee der Aldi-Marke „Westminster“ bis vor Kurzem 2,59€, inzwischen sind es 1,89€. Jedoch stecken statt 250 Gramm nur noch 150 Gramm in der Packung. Insgesamt ist der Preis also nicht gefallen, sondern in Wahrheit um 22% gestiegen. Auch eine Packung Cornflakes bei Lidl ist nur scheinbar um 60 Cent billiger geworden, bringt sie doch noch etwas mehr als halb so viel wie vorher auf die Waage. Die PENNY Naturgut Pizza Spinat Feta kommt laut der Verbraucherzentrale auf eine Preissteigerung von 34,7%. Nicht nur, dass statt 460 Gramm nur noch 410 Gramm drinstecken – die Firma hat den Preis zusätzlich von 2,49€ auf 2,99€ angehoben.
Die REWE Group als Hersteller der Pizza rechtfertigt den hohen Preis bei weniger Inhalt gegenüber der Verbraucherzentrale nicht nur mit gestiegenen Rohstoffpreisen für viele Zutaten. Man habe außerdem im April 2022 den Lieferanten gewechselt und daher die Packungsgröße anpassen müssen. All das habe „eine Preisanpassung notwendig gemacht“.
Drei Meter weniger Klopapier
Teilweise wird die Schrumpfung aber auch mit einer veränderten Rezeptur begründet. Als der Lebensmittelhersteller Seitenbacher 2020 dafür kritisiert wurde, sein Fruchtmüsli nicht mehr in der 1.000 Gramm-Tüte, sondern in der 750 Gramm-Packung anzubieten und dann auch noch 4,99€ statt 3,70€ dafür zu nehmen, erklärte der Hersteller, ein neues Produkt auf den Markt gebracht zu haben. Tatsächlich heißt das Müsli nicht nur fast genauso wie vorher, sondern weist auch beinahe genau die gleiche Zusammensetzung auf, wie die Verbraucherzentrale ermittelt hat. „Bei der Zusammensetzung gibt es nach unserer Auswertung kaum Unterschiede“, schreiben die Verbraucherschützer auf ihrer Website. „Etwas weniger Sonnenblumenkerne und mehr Weizenvollkornflocken machen noch kein neues Produkt. Hier kann allenfalls von einem Produktrelaunch die Rede sein.“
Die aktuelle Krise scheint auch erfinderisch zu machen. So stecken etwa in einer Packung Lidl-Klopapier immer noch genauso viele Rollen wie vor ein paar Monaten. Geschrumpft sind jedoch die einzelnen Blätter, sodass nun pro Rolle drei Meter Papier fehlen.
Es wird schon seit Jahren geschrumpft
Die Shrinkflation ist keine Ausgeburt der aktuellen Krise, es gab sie schon vor Jahren. Geprägt haben soll den Begriff die britische Wirtschaftswissenschaftlerin Pippa Malmgren, und das schon 2009. Überhaupt scheint in Großbritannien die Schrumpfkur im Supermarktregal die absurdesten Ausmaße anzunehmen. Einen regelrechten Shitstorm hat 2016 etwa die Firma Mondelez losgetreten, Hersteller der weltweit bekannten Schweizer Toblerone. Statt als Reaktion auf ein schwaches Pfund den Preis für den gezackten Schokoriegel zu erhöhen, vergrößerte der Hersteller Mondelez ganz einfach die Abstände zwischen den Dreiecken. Allerdings so deutlich, dass der Unterschied gar nicht übersehen werden konnte.
Die britische Statistikbehörde „Office for National Statistics“ hat die Shrinkflation einmal genauer analysiert und zwischen 2015 und 2017 mehr als 37.000 Lebensmittelprodukte auf ihre Größe untersucht. Das Ergebnis: 361 davon haben sich in diesem Zeitraum verkleinert. Immerhin 116 Produkte sind dagegen sogar größer geworden. Für den deutschen Markt liegt eine solche Studie nicht vor.
„Die Leute fühlen sich über den Tisch gezogen“
Doch auch in Deutschland ist die Shrinkflation kein unbekanntes Phänomen. Die Verbraucherzentrale Hamburg hat schon kurz nach der Jahrtausendwende ihre Mogelpackungsliste gestartet, fast genauso lange ist auch Armin Valet im Bereich Lebensmittel und Ernährung bei der Verbraucherzentrale angestellt. Dass Hersteller ihre Produkte verkleinern und damit versteckt die Preise erhöhen, sei nichts Neues, sagt der Ernährungsexperte, würden aber in Zeiten wie diesen extreme Ausmaße annehmen. „Die Verbraucher fühlen sich einfach über den Tisch gezogen, wenn sie zu Hause feststellen, dass die Chipstüte plötzlich nicht mehr die Schüssel füllt“, so Valet.
Für Hersteller wie Händler dagegen sei die Masche eine Win-win-Situation. „Während die Produzenten Kosten sparen, können die Supermärkte und Discounter ihre gewohnten Preise beibehalten“, sagt Armin Valet. Genauer gesagt: ihre Schwellenpreise. Das sind gebrochene Preise wie 1,99€ oder 2,49€, bei denen nur ein paar Cent bis zu einer runden Summe fehlen. Ein psychologischer Trick, um mehr Konsumenten zum Kauf anzuregen.
Markenprodukte schrumpfen viel häufiger
Immer öfter seien auch die Eigenmarken, also No-Name-Produkte der Händler von Shrinkflation betroffen, erklärt Armin Valet. In diesem Jahr lag ihr Anteil unter den Produkten auf der Mogelpackungsliste schon in der Größenordnung von 25%, während es in anderen Jahren im Schnitt nur um die 15% waren und der Rest auf Markenprodukte entfiel. Was den Verbraucherschützer nicht überrascht: „Unsere Theorie ist, dass Markenhersteller eher an den Preisen drehen, weil ihre Kunden in aller Regel weniger genau aufs Geld schauen“. Auch bei Grundnahrungsmitteln wie dem Liter Milch oder dem Kilo Zucker zeigten sich die Hersteller eher verhalten bei Preiserhöhungen über Produktverkleinerung. „Die emotionale Empörung ist viel höher, wenn das Paket Butter dadurch um 10% im Preis steigt, als wenn es sich um eine Markenschokolade handelt“. Dass nun immer mehr Supermärkte ihre Eigenmarken schrumpfen lassen, erklärt sich Valet mit der aktuellen Sondersituation, will heißen: den Lieferproblemen und hohen Energiekosten, die auch Supermärkte zu stemmen haben.
Dürfen die das?
Gegen geltendes Recht verstoßen die Hersteller nicht, wenn sie ihre Packungen verkleinern und die Inflation so durch die Hintertür an die Kunden weitergeben. „Preiserhöhungen über die Produktmenge sind nicht verboten“, sagt Armin Valet. Um dagegen vorzugehen oder einen Produzenten abmahnen zu können, müsse schon eine Täuschung vorliegen oder die Größe der Verpackung mehr Inhalt vortäuschen, als tatsächlich drin ist. So konnte die Verbraucherzentrale beispielsweise vor Kurzem den Discounter Lidl erfolgreich wegen einer Müslipackung verklagen, die nur zur Hälfte befüllt war. Denn es gilt zumindest die Regel, dass eine Packung maximal zu 30% aus Luft bestehen darf.
Ansonsten haben die Hersteller weitgehend freie Hand beim Gestalten ihrer Produkte. Das war mal anders. Bis 2007 hat die EU beispielsweise für fertig verpackte Lebensmittel und Getränke verbindliche Nennfüllmengen vorgegeben, an die sich die Hersteller halten mussten, die Richtlinie dann aber für fast alle Produkte abgeschafft. So kann inzwischen jeder Produzent selbst entscheiden, ob ein Marmeladenglas 180 Gramm oder 225 Gramm fassen soll. Sich bei dem Wildwuchs die Produktgrößen zu merken und anschließend vergleichen zu können, ist für Konsumenten dadurch praktisch unmöglich.
Skimpflation: Weniger Haselnüsse und schlechtere Fette
Ebenfalls zulässig ist, bei der Zutatenliste abzuspecken, um Kosten einzusparen. Das Ganze nennt sich „Skimpflation“ („skimp“ = „knausern“) und zielt wie das Schrumpfen der Produkte darauf ab, Kosten zu sparen und damit möglichst unbemerkt die Preise zu erhöhen. Solche Abstriche in der Qualität sind für die Konsumentinnen und Konsumenten meist noch schwieriger festzustellen, entgehen aber auch den Verbraucherschützern aus Hamburg nicht. „Uns melden immer wieder Leute, wenn in einem Produkt das Rapsöl durch Palmfett ersetzt wurde, in der Schokolade weniger Haselnüsse sind oder der Fruchtanteil gesunken ist“, sagt Armin Valet. Eine Liste für diese Art von Trickserei führt die Verbraucherzentrale allerdings nicht.
Toblerone und Iglo sind zurückgerudert
Das „Toblerone-Gate“ ist für Fans des legendären Schweizer Schokoriegels gut ausgegangen: Rund zwei Jahre nach dem Vorfall ist Hersteller Mondelez zurückgerudert und hat die Toblerone wieder mit den weggefallenen Zacken ausgestattet. Einer von sehr wenigen Ausnahmefällen, meint Valet. In der Regel würden die Hersteller die geschrumpfte Variante beibehalten, temporäre Beschwerdewellen aussitzen und dafür gegebenenfalls auch eine Delle in den Verkaufsstatistiken akzeptieren, bis sich die Konsumentinnen und Konsumenten an die neue Größe gewöhnt hätten.
Valet fällt spontan ein Fall in Deutschland ein, bei dem der Hersteller den Beschwerden nachgegeben hat. Die Firma Iglo hielt es einmal für klüger, nicht das Produkt als solches sichtlich zu verkleinern und schichtete stattdessen lieber um. So wurde bei dem beliebten Schlemmerfilet Bordelaise aus der Tiefkühltruhe kurzerhand der Fischanteil gekürzt und dafür die Kruste vergrößert. Fans des tiefgefrorenen Fischblocks gingen daraufhin auf die Barrikaden und forderten ihr altes Produkt zurück. Iglo konnte den ganz großen Eklat noch mal abwenden, indem die Firma das veränderte Schlemmerfilet fortan als eigene Sorte deklarierte.
Schärfere Regeln für die Hersteller?
Die Preise steigen, und das lässt viele Konsumentinnen und Konsumenten ohnehin schon verzagen. Dass gleichzeitig auch noch die Produkte schrumpfen, erleichtert die Sache nicht. Ist dadurch doch kaum noch ersichtlich, ob oder wie stark sich eine Ware nun verteuert hat oder ob es sich bei einem Schnäppchen nicht in Wahrheit doch um eine Verteuerung handelt. Momentan können sich Konsumentinnen und Konsumenten hier nur selbst behelfen, indem sie pedantisch die Preise und Verpackungsgrößen vergleichen oder regelmäßig Veröffentlichungen wie die der Verbraucherzentrale Hamburg studieren. Doch all das kostet Zeit und Nerven, die viele Verbraucher in der aktuellen Lage vermutlich nur ungern aufbringen.
Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg sieht die Verantwortlichkeit aber ohnehin nicht bei den Konsumentinnen und Konsumenten, sondern bei der Politik. Der Gesetzgeber lasse den Herstellern zu große Freiheiten, meint der Lebensmittelexperte und plädiert für schärfere Vorgaben. Beispielsweise, dass der erlaubte Luftanteil in den Packungen reduziert oder komplett gestrichen wird. „Wir bei der Verbraucherzentrale fordern, dass die Packungen – wenn technisch möglich – voll befüllt sein müssen.“ Aus seiner Sicht würde auch schon mehr Transparenz helfen. Etwa indem der Gesetzgeber die Hersteller verpflichtet, Füllmengen-Reduzierungen öffentlich zu melden, meint Valet. Der Verbraucherschützer ist sich sicher, dass Shrinkflation auch außerhalb der Supermarktregale und branchenübergreifend betrieben wird, also etwa in Baumärkten, in der Gastronomie oder im Dienstleistungssektor vorkommt. Denn was er und seine Kolleginnen und Kollegen bei der Verbraucherzentrale veröffentlichen, sei „nur die Spitze des Eisbergs“.
Kommentare (3)
S
Step
sagt am 30. September 2022
Ich halte die abgeschaffte EU-Regel für sehr sinnvoll. Das ist genau die Lösung, die wieder eingeführt gehört. Schließlich ändert sich im Altag ja nichts an den pro Tag nötigen ca. 2000kcal. Das Müllproblem wächst außerdem oft mit denselben Prozenten mit denen der Preis pro Menge wächst.
C
Christoph Hammer
sagt am 30. September 2022
In Österreich wird bei den Produkten wo es Sinn ergibt zum eigentlichen Preis immer auch der Preis pro kg/Stück/etc. angegeben. Meines Wissens ist das verpflichtend und zumindest bei mir das erste auf das ich schaue beim Kauf. Bei Produkten wie Klopapier geht das natürlich nicht wirklich. Auch andere Zusammensetzungen fängt man damit wohl nur selten ab, aber zumindest bei den meisten Produkten fallen einem geschrumpfte Mengen genau so schnell wie erhöhte Preise auf.
M
Michael
sagt am 30. September 2022
Verpackungsverkleinerungen sind für die (Marken-)Hersteller oft die einzige Möglichkeit, in Krisenzeiten Produkte profitabel zu halten. Händler erlauben keine Preisweitergabe an den Endkunden, um ihre Schwellpreise nicht zu verändern. Die Verkleinerung ist oftmals der einzige Weg, um das Produkt nicht ganz auslisten zu müssen. Verantwortlich für diese Politik sind die Händler.
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