Ein segensreiches Investment? Wohin die Kirchensteuer wirklich fließt
Die Nachricht ist, weiß Gott, nicht neu, aber an dieser Stelle doch erwähnenswert: Immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus. Allein im vergangenen Jahr hat die Evangelische Kirche 280.000 ihrer Schäfchen verloren, bei der Katholischen Kirche waren es sogar mehr als 359.000. Woran das liegt, möchten Umfragen immer wieder herausfinden – und kommen stets zu ähnlichen Ergebnissen. Einer der meistgenannten Gründe ist die Kirchensteuer. Jene freiwillige Abgabe an die Kirche, die jedem Kirchenmitglied vom Bruttogehalt abgezogen wird und den Gotteshäusern jährlich Milliarden in die Kassen spült. In Baden-Württemberg und Bayern beträgt sie 8% von der Einkommensteuer, in den restlichen Bundesländern sind es 9%. Bei einem Bruttolohn von 3.500€ im Monat macht das rund 566€ im Jahr. Wer Geld in Aktien oder andere Wertpapiere investiert, gibt außerdem weitere 9% oder 8% der Kapitalertragsteuer an die Gotteshäuser ab.
| Monatseinkommen brutto | ledig, StKl. 1; / verheiratet StKl. 4 | verheiratet; StKl. 3 | verheiratet, ein Kind, StKl. 3/1 | verheiratet, zwei Kinder, StKl. 3/2 |
|---|---|---|---|---|
| 2.000€ | 15,12€ | |||
| 3.000€ | 36,10€ | 13,50€ | 1,31€ | |
| 3.500€ | 47,77€ | 22,68€ | 7,97€ | |
| 4.000€ | 60,23€ | 32,26€ | 16,47€ | 3,29€ |
Der Staat bezuschusst ebenfalls
Die Kirchensteuer macht mit Abstand den größten Teil der kirchlichen Einnahmen aus. Die Evangelischen Kirchen in Deutschland etwa haben vergangenes Jahr rund 12,3 Mrd. Euro eingenommen, wovon knapp 45% Einnahmen aus der Kirchensteuer waren. Zusätzlich finanziert aber auch der Staat die Kirchen mit und damit ganz automatisch auch steuerzahlende Menschen, die keiner Konfession angehören. Immerhin 590 Mio. Euro und damit rund 4,6% der Gesamteinkünfte haben die evangelische und katholische Kirche vergangenes Jahr als Staatsleistung erhalten – und damit etwa die Bischofsgehälter bezahlt. Daneben erzielen die Kirchen teilweise Erträge durch die Anlage von Vermögen.
Um den Einzug der Kirchensteuer kümmern sich die örtlichen Finanzämter und verteilen sie anschließend. Im Falle der katholischen Kirche beispielsweise an die Finanzdirektoren der einzelnen Bistümer, von wo aus das Geld dann wiederum ausgegeben wird. Doch wofür eigentlich?
Landeskirchen und Bistümer legen Haushalt fest
Was mit dem Geld passiert, wird weder der evangelischen noch der katholischen Kirche von einer zentralen Stelle vorgegeben. Stattdessen entscheiden die Kirchen, genauer gesagt, ihre regionalen Verwaltungsbezirke selbst, wie sie die Steuereinnahmen verwenden. In der katholischen Kirche etwa obliegt es den 27 selbstständigen (Erz-)Diözesen, das Budget jedes Jahr neu festzulegen. In der evangelischen Kirche sind dafür die bundesweit 20 Landeskirchen zuständig.
So werden jedes Jahr ein paar Dutzend verschiedener Haushaltspläne ausgearbeitet. Wie das Geld genau verwendet wurde, geht aus den Jahresberichten hervor, die die Landeskirchen und Bistümer mehr oder weniger gut auffindbar im Internet veröffentlichen. Auch wenn es regionale Unterschiede in der Ausgabenstruktur gibt, ähneln sich die Berichte doch in vielerlei Hinsicht. So verbleibt etwa stets ein kleiner Prozentsatz der Einnahmen direkt beim Staat, sozusagen als Entlohnung dafür, dass die Finanzämter die Steuer eingezogen haben. In den meisten Fällen sind das zwischen zwei und drei Prozent der Gesamtsumme.
Werden wirklich soziale Projekte unterstützt?
Die Kirche als Wohltäter, Retter der Armen und Beschützer der Unterdrückten – was ist dran an diesem Bild, das viele Menschen von dem „Haus Gottes“ haben? Fließt die Kirchensteuer wirklich vorrangig in wohltätige Zwecke, in kirchliche Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser etwa?
Der Gedanke liegt nahe – denn solche Einrichtungen zu unterhalten, ist Aufgabe der kirchlichen Wohlfahrtsverbände, also der Caritas (römisch-katholisch) und dem Diakonischen Werk (evangelisch). Doch tatsächlich finanzieren sich die Verbände je nach Verwaltungsgebiet zu 85 bis 100% aus öffentlichen Mitteln und damit zum großen Teil aus Steuergeldern. Soziale oder karitative Aufgaben machen in den meisten Landeskirchen und Bistümern meist nur einen Anteil von um die 10% aus, teilweise auch weniger als 5%. Das mit Abstand meiste Geld geht für Personal in den einzelnen Gemeinden oder Pfarreien drauf, also etwa für Pastoren, Pfarrerinnen und Pfarrer, Referenten, Musikerinnen und Musiker.
Jahresbericht Bistum Limburg, 2020
Nachlesen kann man das etwa im Jahresbericht 2020 des Bistums Limburg, der römisch-katholischen Diözese, zu dem insgesamt elf Verwaltungsbezirke in Hessen und Rheinland-Pfalz gehören. 41,9% der Kirchensteuer hat das Bistum 2020 für den Bereich „Seelsorge“ aufgewendet. Das umfasst hauptsächlich Zuweisungen an die einzelnen Pfarreien, die damit wiederum größtenteils ihr geistliches und pastorales Personal bezahlen, damit diese seelsorgerischen Aufgaben nachgehen können. Weitere 16,4% der Gesamteinnahmen hat das Bistum laut Jahresbericht für „Leitung und Verwaltung“ ausgegeben. Heißt konkret: für eine funktionierende IT im Bistum und den Kirchengemeinden, außerdem für Versicherungen und Öffentlichkeitsarbeit. 13,1% wurden für „Finanzen“ ausgegeben und weitere 7,1% für Bildung, Kunst und Kultur, also etwa für Religionsunterricht in Schulen oder für die Organisation von Gedenkveranstaltungen und Ausstellungen. Weiterhin hat das Bistum mit der Kirchensteuer die „Weltkirche“ unterstützt. Eine Abteilung im Bistum, die für internationale Partnerschaften mit anderen Kirchen zuständig ist. Gerade einmal 7,9% seiner Einnahmen und damit 17,4 Mio. Euro hat das Bistum Limburg für soziale und karitative Zwecke aufgewendet.

4% für Diakonie, Gesellschaft und Umwelt
Nicht viel größer ist der Anteil, den die evangelischen Landeskirchen für wohltätige Zwecke aufwenden. Lediglich 4% der Ausgaben entfielen beispielsweise bei der evangelisch-lutherischen Kirche 2020 auf den Bereich „Diakonie, Gesellschaft, Umwelt“ und flossen damit etwa in die Betreuung von Kindern und Jugendlichen, Behinderten und Straffälligen, in die kirchliche Arbeit an Hochschulen und offene soziale Dienste.
Dagegen wurde mehr als die Hälfte der Erträge für die „traditionellen“ Aufgaben in den Gemeinden ausgegeben, also für den Pfarrdienst, die kirchliche Seelsorge und Beratung, für Musik und Gottesdienste sowie die Kunst- und Denkmalpflege. 17,1% hat die Landeskirche für Religionsunterricht, Konfirmandenarbeit sowie evangelische Schulen und die Erwachsenenbildung ausgegeben, 12,3% für transnationale Projekte und Partnerschaften. Der Rest verteilte sich unter anderem auf zentrale Verwaltungsaufgaben oder die Verwaltung der kirchlichen Gebäude.
Wofür die Kirchensteuer und sämtliche andere Einnahmen von einer Landeskirche oder einem Erzbistum verwendet werden, ist für die interessierte Öffentlichkeit nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich. Denn auch bei der Erstellung ihrer Haushaltspläne und Jahresberichte sind die einzelnen Verwaltungsbezirke ziemlich frei in der Gestaltung.
So tragen die einzelnen Posten und Bereiche teilweise unterschiedliche Namen, werden unter Oberbegriffen zusammengefasst oder separat aufgeführt. In Übersichtstafeln lassen mitunter vage Schlagworte lediglich erahnen, um welche konkreten Posten es sich letztlich handelt, was nun etwa unter „karitativen oder sozialen Aufgaben“ oder „weltweitem Engagement“ verstanden wird. Es lohnt sich also, sich etwas Zeit zu nehmen und durch die Jahresberichte zu blättern.
Einige Landeskirchen und Bistümer geben in ihren Jahresberichten dagegen auch genau an, welche Spendenorganisationen und -aktionen in einem Jahr mit welchen Summen unterstützt wurden. Wie viel Millionen Euro etwa an „Brot für die Welt“ oder andere Hilfswerke gingen und welcher Anteil an den Wohlfahrtsverband.
Wohltätigkeit ist ein dehnbarer Begriff
Wie sehr sich die Kirchen nun für das Allgemeinwohl in der Gesellschaft einsetzen, ist in einer gewissen Weise auch Ansichtssache. Auch die seelsorgerische Betreuung von Gläubigen oder Bildungsmaßnahmen lassen sich als Ausgaben „für den guten Zweck“ verbuchen, wenn man so will. Doch die tatsächliche Unterstützung von Hilfebedürftigen oder Menschen in Not, die Finanzierung von Wohlfahrtsverbänden oder externen gemeinnützigen Spenden-NGOs ist – gemessen an den Gesamtausgaben der Landeskirchen und Bistümer – gering.
Lieber eine Kultursteuer für alle?
Nicht nur einmal wurde deswegen in der Vergangenheit über die Abschaffung oder zumindest die Umgestaltung der Kirchensteuer in Deutschland debattiert. Selbst aus dem Inneren der Gotteshäuser hallt von Zeit zu Zeit der Ruf nach einem neuen Finanzierungskonzept der Kirchen. Eine Überlegung etwa ist immer wieder, die verpflichtende Abgabe für Kirchenmitglieder durch eine Art Kultursteuer zu ersetzen, die auch Konfessionslose zahlen müssten. Als Vorbilder werden gern Spanien oder Italien herangezogen, wo jeder Bürger, Nichtgläubige wie Gläubige, einen Teil ihrer Einkommensteuer entweder an die Kirche spenden oder einem anderen wohltätigen Zweck zukommen lassen muss. Diese sogenannte Mandatssteuer beträgt in Italien 0,8% der Einkommensteuer. Ähnliche Konzepte existieren in Island und Ungarn.
In Deutschland dagegen können sich Kirchenmitglieder prinzipiell nur von der Kirchensteuer befreien, indem sie aus der Kirche austreten. Nicht zahlungspflichtig sind lediglich Geringverdiener und damit oftmals Studierende sowie Rentnerinnen und Rentner.
Spenden als Alternative
Wem es bei seiner Kirchenmitgliedschaft also tatsächlich nur ums Spenden für wohltätige Zwecke geht und weder um die Erhaltung von Kirchen und Kapellen noch um den Religionsunterricht oder die Theologenausbildung, der wäre bei einer unabhängigen Spendenorganisation womöglich an der besseren Adresse. Gewiss: Auch beim Spenden an NGOs oder in konkrete Projekte kommt nicht die gesamte Spende bei dem angedachten Spendenziel an. Auch nicht kirchliche Spendenorganisation müssen Personal beschäftigen, Verwaltungsarbeit erledigen und für das eigene Vorhaben werben. Doch beschränken sich solche Ausgaben bei vielen Organisationen auf maximal 30% der Spendensumme.
Einnahmen durch Kirchensteuer sind stabil
Die Kirchensteuer ist und bleibt die Haupteinnahmequelle der Kirchen. In manch einer Landeskirche mag sie „nur“ 60% der Gesamterträge ausmachen, in manch anderer liegt ihr Anteil allerdings bei über 80%. Wie langlebig ist dieses Finanzierungsmodell, könnte man sich da fragen. Oder auch: Wie soll eine Kirche in Zukunft über die Runden kommen, wenn ihr doch jedes Jahr über eine halbe Million Menschen den Rücken kehren?
Tatsächlich halten sich die Erträge aus der Kirchensteuer seit Jahren stabil oder steigen gar - und das trotz Mitgliederschwund. Ursache dafür ist - kurz gesagt - die gute Konjunktur der vergangenen Jahre. Die Löhne sind stetig gestiegen. Im Jahr 2000 etwa belief sich das durchschnittliche Bruttoeinkommen eines Deutschen nach Informationen des Statistischen Bundesamtes noch auf 2.551€ im Monat, im Jahr 2021 waren es schon 4.100€. So sind auch die Einnahmen aus der Kirchensteuer über die vergangenen Jahre und Jahrzehnte kontinuierlich gestiegen. Beliefen sich die Erträge im Jahr 2004 noch auf rund 7,7 Milliarden Euro, haben die Kirchen im vergangenen Jahr ganze 12,7 Milliarden Euro und damit beinahe doppelt so viel eingenommen.
