Zu alt für den ETF? – Geldanlage im Alter
Mit dem Anlegen kann man nicht früh genug anfangen, mahnen Finanzberater gern. Doch kann man zu spät dran sein? Lohnt es sich jenseits der 50, 60 oder 70 überhaupt noch, in den Aktienmarkt einzusteigen oder ruiniert man sich damit gar die Rente? Wo der Anlagezeitraum doch bedeutend kürzer ist als der eines 30-Jährigen. Die meisten Finanzratgeber antworten darauf gern mit einer Faustregel: „Die Differenz aus 100 und dem eigenen Alter ist die perfekte Aktienquote“. Demnach dürfte ein 60-Jähriger maximal 40% seines Kapitals in Aktien investieren, ein 70-Jähriger höchstens 30% und ein 80-Jähriger nur 20%. Als Orientierung mag das ganz nett sein, für mehr sollte die Regel allerdings nicht herhalten – denn sie blendet eine entscheidende Tatsache aus: Es gibt nicht den einen Rentner, die eine 60-Jährige oder den einen Pensionär. Menschen sind verschieden, genau wie ihre Pläne, Ziele, Träume und die Summen auf ihren Bankkonten. Wer gut aufgestellt ist, kann prinzipiell auch noch mit 80 Jahren einen Aktiensparplan aufsetzen. Nur sollte das Ganze gut durchdacht sein.
Der Status quo: Was benötige ich aktuell?
Sind Aktien eine gute Idee, vielleicht sogar notwendig, um auch in ein paar Jahren noch gut zurechtzukommen? Um das zu klären, sollte sich jeder Investor – gleich welches Alters – zunächst den Status quo der eigenen Finanzen vornehmen: Was benötige ich aktuell, um den Lebensstandard zu finanzieren? Welche laufenden Forderungen sind zu begleichen und wie viel kommt auf der anderen Seite jeden Monat rein? Anders gefragt: Auf wie viel könnte ich verzichten? Das zu wissen ist die Grundlage aller Planungen, denn: Geld, das breit gestreut am Aktienmarkt investiert wird, sollte mindestens zehn, aber besser 15 Jahre unangetastet im Depot liegen, um mögliche Krisen, Crashs und Kursschwankungen aussitzen zu können. Einen vollkommenen Schutz vor Verlusten gibt es zwar auch bei 40 Jahren Anlagedauer nicht. Doch sinkt das Risiko erheblich, je länger das Geld investiert bleibt.
Wer immer mal wieder Geld aus dem Depot ziehen muss, weil das Budget zu knapp berechnet ist, wird auch mal schlechte Zeitpunkte erwischen und gezwungen sein, Verluste zu realisieren. Man sollte sich im Voraus also sicher sein, eine Weile auf das Geld verzichten zu können.
Vererben oder verschleudern: Was ist das Ziel?
Unerlässlich ist auch der Blick in die Zukunft: Welche neuen Ausgaben werden potenziell auf einen zukommen und wird zwischen ihnen und der Rente eine Lücke klaffen? Was wird die Wohnung in zehn oder 20 Jahren vermutlich kosten und auf wie viel Geld könnte man monatlich verzichten, ohne Probleme zu bekommen? Reicht der Spielraum, um unvorhergesehene Kosten stemmen zu können? Wer noch im Arbeitsleben steht, kann Institutionen wie die Deutsche Rentenversicherung zu Hilfe nehmen und (seit Neuestem) digital die voraussichtliche künftige Rente ermitteln. Nicht minder wichtig sind die persönlichen Pläne: Was möchte man in seinem Leben noch erreichen, wie und wo möchte man einmal wohnen und wie wichtig ist einem Flexibilität im Alter?
Kurzum: Zu welchem Zweck soll das Geld eigentlich vermehrt werden? Soll schlicht die Rente aufgebessert werden oder will man noch mal um die Welt reisen? Womöglich sollen die Kinder etwas erben oder das eigene Ersparte soll schlicht vor der Inflation geschützt werden. Gewiss lässt sich die Zukunft nicht vollständig durchplanen. Doch über den groben Kurs sollte man sich als Anleger im Klaren sein, bevor der Fahrplan entwickelt wird. Das Alter ist dabei erst mal zweitrangig. Gehen wir ein paar Beispiele durch, wie ein solcher Fahrplan aussehen kann.
60 Jahre, 50.000€ Erspartes
Nennen wir unsere Beispielperson Britta. Britta ist 60 Jahre alt und hat noch sechs Jahre bis zur gesetzlichen Rente. Mit ihren künftigen Bezügen wird sie vermutlich gut auskommen, denn das Haus ist bereits abbezahlt. 50.000€ Erspartes hat sie auf dem Girokonto liegen, würde aber gern mehr daraus machen, um ihren Kindern und Enkeln später etwas hinterlassen zu können. Für sich selbst plant sie keine größeren Ausgaben. Sie rechnet damit, mindestens 83 Jahre alt zu werden, was laut Statista momentan der durchschnittlichen Lebenserwartung einer Frau in Deutschland entspricht. Demnach blieben Britta gut und gern 23 Jahre, um ihr Erspartes zu vermehren.
Da Britta auf die 50.000€ nicht zugreifen muss, könnte sie es komplett in einen breit gestreuten ETF investieren und 20 Jahre im Depot liegen lassen, bevor sie es sich in Etappen auszahlen lässt. Geht man von durchschnittlich 5% Rendite pro Jahr aus (nach Inflation) würden aus ihren 50.000€ gut und gern 135.000€.
Alternativ könnte sich Britta auf gar keinen festen Auszahlungszeitpunkt einstellen, sondern einfach festlegen, ihr gesamtes Aktiendepot nach ihrem Ableben zu vererben. Eine Strategie, für die es prinzipiell nie zu spät ist. Selbst wer mit 70 die Börse für sich entdeckt, könnte sein Vermögen breit gestreut investieren und zum Nachlass für die nächste Generation erklären.
Die Rente aufbessern und einen Teil vererben
Etwas komplizierter wird es, wenn das investierte Geld schon zu Lebzeiten dazu dienen soll, die Rente aufzubessern oder sich zwischenzeitlich die ein oder andere Ausgabe zu erlauben. In dem Fall braucht es eine Entnahmestrategie, das heißt: einen genauen Plan, welche Summe jeden Monat vom Depot abgezwackt werden soll. Dazu gehört auch die Frage, wie viel Geld am Ende der Auszahlungsphase übrig sein soll.
Bleiben wir bei Britta und nehmen an, dass sie jeden Monat ihre Rente um ein paar Hundert Euro aufbessern möchte – je nachdem, wie viel ihr Depot hergibt. Legt sie die 50.000€ Erspartes für sechs Jahre (bis zur Rente) an, würde sie bei schätzungsweise 67.000€ Gesamtvermögen landen. Britta könnte nun das volle Risiko fahren und sich – trotz kurzer Anlagedauer von sechs Jahren – jeden Monat einen Betrag ausschütten und den Rest im Depot liegen lassen. Weil ihre Kinder gut aufgestellt sind, plant sie erst mal nicht damit, etwas zu vererben. Bis zu ihrem 83. Lebensjahr könnte sich Britta rund 480€ ausschütten lassen, die sich einerseits aus ihrem investierten Kapital und andererseits aus den Zinsen speisen würden, welche ihr das Investment einbringt. Anschließend wäre das Geld vollständig aufgebraucht.
Ihre Renditechancen wären mit dieser Strategie am höchsten – doch mit ihnen auch das Risiko. Britta müsste schließlich auch dann Geld aus ihrem Depot ziehen, wenn es am Aktienmarkt gerade bergab geht. Schwankungen und Verluste zum falschen Zeitpunkt könnten ihr Endvermögen also schrumpfen lassen.
Sicher oder semi-sicher anlegen?
Sicherer wäre es, das für die Auszahlungen benötigte Kapital auf einem Tagesgeldkonto zu deponieren. Dort wirft es zwar kaum Zinsen ab, doch muss Britta zumindest keine Wertschwankungen fürchten. Dafür müsste sie den Gürtel etwas enger schnallen: Um über 17 Jahre jeden Monat 480€ vom Tagesgeldkonto zu entnehmen, müssten dort alleine 90.000€ liegen, wenn man davon ausgeht, dass diese im Schnitt mit 1% verzinst werden – das ist fast doppelt so viel, wie sie bislang gespart hat. Legt sie die 50.000€ bei 1% Zinsen aufs Tagesgeldkonto, könnte sie über 17 Jahre monatlich 357,14€ entnehmen, anschließend wäre nichts mehr davon übrig.
Denkbar ist auch eine Mischung aus Risiko und Sicherheit: Britta könnte sich mit Eintritt in die Rente vornehmen, nur einen Teilbetrag ihrer 67.000€ an der Börse investiert zu lassen und beispielsweise 30.000€ sicher anzulegen. Oder sie belässt das gesamte Vermögen im Depot und entnimmt jährlich nur so viel, wie sie an Zinsen erwartet. Bei 5% Durchschnittsrendite wären das pro Monat immerhin 270€ alleine an Zinsen. Läuft alles wie geplant, bliebe ihr Startvermögen von 67.000€ bis zum Lebensende erhalten. Womit wir bei der eigentlichen Krux wären: Im Leben (und an der Börse) läuft selten alles nach Plan.
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Auf die Reihenfolge kommt es an: das Sequence-of-Return-Risiko
Wie sich der Aktienmarkt in den kommenden Jahrzehnten entwickeln wird, kann niemand vorhersehen. Doch obwohl er einem 5% durchschnittliche Rendite pro Jahr einbringt, ist das eben nur ein Durchschnittswert. Dass der Markt in einem Jahr um 10% steigt und in einem anderen um 20% fällt, ist an der Börse völlig normal – ganz egal, wie viele Tausend Aktien in einem ETF stecken. Wer gleichzeitig jeden Monat Geld entnimmt, geht das sogenannte „Sequencing-of-Return“-Risiko ein. Das bedeutet so viel wie „Rendite-Reihenfolge-Risiko“. Gerät man als Neu-Anleger gleich zu Anfang in einen Crash, kann das investierte Vermögen schon mal um 20 oder gar 50% schrumpfen. Wird trotzdem jeden Monat eine feste Summe entnommen, schrumpft das Vermögen (prozentual) folglich schneller, als hätte es den Crash nicht gegeben. So kann es passieren, dass einem das Geld früher ausgeht als kalkuliert. Wie hoch diese Wahrscheinlichkeit ist, haben wir in der Vergangenheit einmal anhand eines 152.000€ Portfolios simuliert, das durchschnittlich 5% Rendite abwirft und aus dem jedes Jahr 6.000€ entnommen werden. Es gibt etliche Szenarien, wie sich das Portfolio über die Jahre entwickeln kann. Genau wie man nach 30 Jahren mit doppelt so viel Vermögen dastehen könnte wie vorher, kann es passieren, dass einen die Schwankungen so ungünstig treffen, dass das Kapital bereits nach 20 Jahren aufgebraucht ist.
Zu sehr sollte man sich an die Durchschnittsrendite also nicht klammern und sie lieber als ungefähre Orientierung nehmen, um Geldanlagen miteinander zu vergleichen.
Erwartet man eine Rendite von 5% pro Jahr, wäre es besser, einen Sicherheitsabstand einzuplanen. Statt 5% also beispielsweise nur 3% oder 3,5% zu entnehmen. Dadurch sinkt die Pleitewahrscheinlichkeit enorm.
Noch mal bei null starten?
Doch lohnt es sich auch, selbst als Rentner noch mal ganz von vorn zu beginnen? Die Antwort lautet ganz klar: Ja. Selbst wenn noch kein riesiges Vermögen auf der Seite liegt, aber jeden Monat Geld aufs Sparkonto wandert (weil etwa das Haus abbezahlt ist und die Rente üppig ausfällt), kann es sich auszahlen, per Sparplan in einen ETF zu investieren.
Wer beispielsweise ab dem 65. Lebensjahr jeden Monat 400€ anlegt, landet – bei 5% Durchschnittsrendite – mit 80 Jahren bei gut und gern 107.000€ Vermögen. Beginnt man erst mit 70, sind es rund 62.000€, was mal wieder klar zeigt: Schon ein wenig früher dran zu sein, kann einen erheblichen Unterschied machen. Je länger der Anlagezeitraum, desto stärker schlägt der Zinseszinseffekt zu. Trotzdem gilt auch hier: Geldbeträge, auf die man in den nächsten 10 bis 15 Jahren angewiesen ist, sollten eher nicht risikobehaftet investiert werden.
Düstere Rentenaussichten oder üppige Pension?
Dass Aktien also nur etwas für junge Leute wären, die noch ihr ganzes Leben vor sich haben, ist ein Irrglaube. Zugleich wäre es fahrlässig, jedem Rentner und jeder Rentnerin pauschal Aktien ans Herz zu legen. Menschen sind verschieden, haben unterschiedliche Pläne und Ziele und noch dazu unterschiedlich viel Geld auf dem Konto liegen. Wer ein abbezahltes Haus bewohnt und durch eine Pension gut abgesichert ist, wird womöglich leichtfertiger mit seinem Ersparten umgehen als jemand, dessen Rente auf wackeligen Beinen steht.
Hinzu kommt: Einige Dinge lassen sich schlichtweg nicht planen. Etwa, wie alt man einmal werden wird. Glaubt man Statistiken, konnte eine Frau im Jahr 2020 damit rechnen, im Schnitt 83,4 Jahre alt zu werden, für einen Mann veranschlagte man 78,5 Jahre. Das sind natürlich lediglich Durchschnittswerte. Doch selbst wenn Simulationssoftware wie „wie-alt-werde-ich.de“ einem erlauben, konkreter zu werden und individuelle Faktoren zu ergänzen (Geburtsort, Beruf, Zigaretten), spielt das Leben selten, wie man es plant. So kann es passieren, dass zuvor die Lebenserwartung überschätzt wird und man früher stirbt als gedacht. Heißt mit Blick aufs Finanzielle: Man hätte zu Lebzeiten eigentlich mehr ausgeben können oder weniger sparen müssen, doch für derlei Erkenntnisse bleibt dann ohnehin keine Gelegenheit mehr. Ebenso möglich ist, dass man viel länger auf Erden verweilt als kalkuliert. Sicher eine nette Sache, doch nicht mit Blick auf die Finanzen, wenn einem plötzlich das Geld ausgeht. Nach jüngsten Daten der sogenannten Periodensterbetafeln des Statistischen Bundesamts erreichten 95% aller Männer nicht das 95. Lebensjahr. Was auch bedeutet: Immerhin 5% waren zu diesem Zeitpunkt 95 oder älter. Unter den Frauen erreichten 5% sogar das 98. Lebensjahr. Geht es darum, die eigene Lebenserwartung zu prognostizieren, ist Optimismus also (ausnahmsweise) eher geboten als Pessimismus. Wer auf Nummer sicher gehen möchte, könnte sich die Periodensterbetafeln des Statistischen Bundesamts zur Orientierung nehmen: 95% aller Männer waren im Alter von 95 bereits verstorben oder der gleiche Anteil aller Frauen im Alter von 98 Jahren. Da die Lebenserwartung steigt, könnte man hier zur Sicherheit noch ein paar Jahre hinzuaddieren.
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