Mit Kleinkrediten gegen die Armut
“Wenn du den Wert des Geldes kennenlernen willst, versuche mal, dir welches zu leihen”, soll Benjamin Franklin einmal gesagt haben. Nagut, das Zitat ist fast 200 Jahre alt - inzwischen können wir ja so gut wie alles auf Pump kaufen: Waschmaschinen, Autos, Häuser. Selbst die Studiengebühren leihen wir uns. Doch so viel Spielraum haben nicht alle Menschen.
Muhammad Yunus, Wirtschaftswissenschaftler aus Bangladesh, kämpft seit den 1970er Jahren dafür, dass sich das ändert. Um ein gerechteres Finanzsystem zu schaffen, hat er Anfang der 1980er die Bank Grameen (“Ländliche Bank”) in seinem Heimatland gegründet, das erste Mikrofinanzinstitut der Welt, das Kleinkredite an arme Menschen und Kleingewerbe in Entwicklungsländern vergibt. Inzwischen gibt es eine ganze Reihe solcher Kreditinstitute, die wiederum mit Investmentgesellschaften zusammenarbeiten.
Über Fonds können inzwischen auch Privatanleger in Mikrokredite investieren und - so das Versprechen - Hilfe zur Selbsthilfe leisten, während sie gleichzeitig stabile Renditen einfahren. Doch wie hilfreich sind Mikrokredite wirklich im Kampf gegen die Armut und worauf lassen sich Investorinnen und Investoren ein, wenn sie ihr Geld in einen solchen Fonds stecken?
Wie funktionieren Mikrokredite?
Für ein Online-Marketing-Unternehmen mit ordentlichem Business-Plan in Berlin-Mitte mag es nicht weiter problematisch sein, sich das Startkapital von der Bank zu besorgen. Als Kleinbauer in Kambodscha sieht die Sache schon etwas anders aus. Nicht nur Privatpersonen, sondern auch Kleinunternehmen ohne nachweisbare Sicherheiten haben kaum Zugang zu klassischen Finanzdienstleistungen und können dementsprechend nur eingeschränkt in ihr Geschäft investieren und sich etwa neue Maschinen und Werkzeuge besorgen, Tiere und Futter oder einen fahrbaren Untersatz. Hier sollen Mikrokredite Abhilfe schaffen: In der Regel umfassen sie Kreditsummen von 50-1.500€ und laufen über kurze Zeiträume wie ein oder zwei Jahre. Teilweise werden die Mikrokredite auch aufgenommen, um soziale Ausgaben zu bestreiten und zum Beispiel in die Bildung der eigenen Kinder zu investieren.
Zinsen von bis zu 30%
Bewilligt werden Mikrokredite von sogenannten Mikrofinanzinstituten, kurz MFIs, die ihren Sitz zumeist in den Schwellen- und Entwicklungsländern haben, in denen auch ihre Kreditkunden leben. Umsonst verleihen sie das Geld nicht: Zinsen von 25% oder 30% sind eher Standard als Ausnahme. Das klingt mehr nach schamlosen Wucherpreisen als nach Großzügigkeit, ist aber nach Aussage der Investmentgesellschaften weniger, als lokale Geldverleiher normalerweise in Ländern wie Indien ihren Kunden berechnen würden.
Die Kreditzinsen gehen nur zum Teil in die Kasse der MFIs. Unter anderem werden sie dazu genutzt, anfallende Betriebs- und Personalkosten zu begleichen, außerdem zahlen die Institute ihrerseits Zinsen an eine kooperierende Bank oder eine Investmentgesellschaft, die für die MFIs Geld über Fonds einsammelt. Womit wir bei den Anlegern wären, die ganz zu Anfang in einen solchen Mikrofinanzfonds investieren können und damit das Geschäft der Kreditinstitute überhaupt erst ermöglichen.
2% Rendite im Jahr für den Anleger
Wie viel Rendite am Ende bei den Anlegern ankommt, hängt einerseits davon ab, wie viel die zwischengeschalteten Gesellschaften für die Deckung ihrer eigenen Ausgaben verwenden - und andererseits davon, wie hoch die Zinsen sind, die sie von den Kreditkunden verlangen können. Das wiederum hängt mit der Bonität der Kreditnehmer zusammen, aber auch mit ökonomischen Besonderheiten beziehungsweise dem Zinsniveau eines Landes. In Ländern mit hoher Inflation beispielsweise verlangen Kreditinstitute für gewöhnlich auch höhere Zinsen, da sich Schulden durch die Geldentwertung rascher von selbst erledigen.
Doch selbst wenn ein MFI seinen Kunden nun 30% Zinsen oder mehr pro Jahr berechnet, kommt davon nur ein Bruchteil bei den Investoren an, nicht selten sind es weniger als 2% Rendite im Jahr Das liegt auch daran, dass neben den Kreditinstituten auch die Investmentgesellschaften ihren Fondsanlegern einiges an Provisionen und Gebühren berechnen.
3% Ausgabeaufschlag für den IIV Mikrofinanzfonds
Der Fonds des Mikrofinanzinvestors Invest in Visions ist eines der ältesten und bekanntesten Produkte im Bereich der Kleinkredite. Invest in Visions gilt als Pionier in der Branche und verspricht, sich bei der Darlehensvergabe an strenge ethische und soziale Regeln zu halten.
Aufgelegt wurde er vor mehr als zehn Jahren, inzwischen stecken um die 840 Millionen Euro in dem Fonds. Günstiger geworden ist er dadurch nicht: Die Gesamtkostenquote (TER) beläuft sich auf 1,9% pro Jahr auf die Anlagesumme, außerdem zahlen Anleger gleich zu Anfang 3% Ausgabeaufschlag. Immerhin mehr als 460.000 Gewerbetreibenden aus 34 verschiedenen Ländern hat der Fonds nach eigenen Angaben bisher einen Kleinkredit ermöglicht. Kooperiert hat die Gesellschaft dazu mit insgesamt 94 verschiedenen Mikrofinanzinstituten, von denen die meisten in Ecuador, Indien, Kambodscha, Usbekistan und China sitzen.
Wer mehr Geld auf der hohen Kante hat, zahlt weniger Gebühren. Bei 30.000€ Mindestanlage beträgt der Ausgabeaufschlag nur 1%, für Vertrieb und andere laufende Kosten zahlen Investoren 1,43% TER.
Nichts zum reich werden
Wer vor zehn Jahren Jahren in den IIV Fonds investiert hat, um potentiell einen großen Reibach zu machen, dürfte heute enttäuscht sein. Zwischen 2011 und 2022 haben Anleger nach Angaben der Fondsgesellschaft knapp 20% Gesamtrendite eingefahren - das entspricht gerade einmal 1,8% Rendite pro Jahr. Zum Vergleich: Der MSCI World Index hat sich im gleichen Zeitraum etwa in seinem Wert vervierfacht. Die Realität sieht sogar noch enttäuschender aus: Für die Berechnung der Rendite hat sich IIV nämlich der sogenannten BVI-Methode des Bundesverbands Deutscher Investmentgesellschaften - und dabei werden jegliche Kosten und Gebühren ausgeklammert. In Wahrheit beläuft sich die Rendite des IIV Mikrofinanzfonds von 2012 bis heute sogar nur auf -0,75%, was einem durchschnittlichen Verlust von -0,07% pro Jahr entspricht.
1.000€ Mindestanlage bei der christlichen Bank
Viel profitabler sind aber auch andere Mikrofinanzfonds nicht. Der KCD Fonds (LU1106543249) der genossenschaftlichen Spezialbank BIB (Bank im Bistum Essen) hat seit seiner Auflage vor sieben Jahren knapp 15% Rendite erzielt und damit ebenfalls um die 2% durchschnittliche Jahresrendite. 2021 wurden mit dem Geld des KCD Fonds mehr als 50.000 Schuldnerinnen und Schuldner finanziert, die meisten davon waren Frauen und lebten in ländlichen Regionen. Ecuador, Peru und Indien gehörten zu den häufigsten Heimatländern der Schuldner, aber auch Georgien, Rumänien und Armenien. Die einzelnen Kreditnehmer listet die Bank im Bistum Essen nicht auf, dafür aber die MFIs, mit denen sie zusammenarbeitet. Darunter zum Beispiel Microinvest, ein Finanzdienstleister aus der Republik Moldau, der unter anderem Familiendarlehen, Autokredite und Kredite speziell für Landwirte an einkommensschwache Personen vergibt.
Investoren müssen mindestens 1.000€ investieren, um einen Teil des Fonds kaufen zu können. Der Kauf ist monatlich möglich, die Rückgabe alle drei Monate. Auch hier zahlen Anlegerinnen und Anleger 3% Ausgabeaufschlag, hinzu kommen laufende Kosten von jährlich 1,63%.
570.000 Kleinkreditnehmer
“Nur” 2,5% Ausgabeaufschlag fallen einmalig bei Kauf des GLS Mikrofinanzfonds an, hinzu kommen 1,9% TER. Der Fonds wurde ebenfalls erst 2015 aufgelegt und investiert in knapp 30 verschiedene Länder.
In ihrem jüngsten Investitionsbericht hat die GLS beispielhaft ein paar MFIs vorgestellt. Eines davon ist die Kashf Foundation mit Sitz in Pakistan, die bereits seit den 1990er Jahren Kredite an Mikrounternehmen vergibt, die meisten davon befinden sich in Frauenhand. Mehr als 100 Mio. USD hat der GLS-Fonds bis Ende 2021 in das Institut investiert, das damit neben Unternehmerinnen beispielsweise auch private Schulen und Fortbildungen für Lehrkräfte finanziert. Insgesamt beläuft sich die Zahl der Kleinkreditnehmer auf 570.000 Menschen. Auch dieser Fonds ist nichts für Investoren auf Renditesuche: Zwischen 2015 und 2022 hat er eine Wertsteigerung von insgesamt 7,7% hingelegt.
Was, wenn die Kredite ausfallen?
Auf den ersten Blick erinnert das Modell Mikrofinanzierung an P2P-Kredite. Auch dort können private Anlegerinnen und Anleger die Schulden einer fremden Privatperson finanzieren, jedoch ohne zwischengeschaltete Investmentgesellschaften oder Kreditinstitute. So kommt im Erfolgsfall zwar weit mehr bei den Anlegern an (teilweise 15% Jahresrendite oder mehr). Dafür riskieren Investoren aber auch den Totalverlust. Denn wenn der Schuldner ausfällt, haben sie kaum Chancen, ihr investiertes Kapital zurückzubekommen.
Bei Mikrofinanzfonds ist das anders. Abgesehen davon, dass viele Fondsgesellschaften eine Ausfallquote von 2% oder weniger vorweisen, bedeutet ein einzelner geplatzter Kredit noch längst nicht den Totalverlust für den Anleger. Schließlich stecken in einem Fonds gleich mehrere Dutzend MFIs, die wiederum viele Tausende Kleinkreditnehmer mit Darlehen versorgen. Das Ausfallrisiko ist durch die breite Streuung also tatsächlich sehr gering.
Kein Emittentenrisiko für Anleger
Kredite sind nichts anderes als Schulden, und damit zählen auch sie - genau wie etwa Anleihen - zur Klasse der Schuldverschreibungen. Da Investorinnen jedoch im Mantel eines Fonds in die Mikrokredite investieren, besteht kein Emittentenrisiko. Wie bei ETFs und aktiven Fonds gilt das investierte Kapital als Sondervermögen, es wird also abgekoppelt vom Vermögen der Fondsgesellschaft aufbewahrt und darf deswegen im Insolvenzfall auch nicht zum Begleichen von Schulden herangezogen zu werden.
Bekämpfen die Kredite wirklich Armut?
Allein für den Profit werden angesichts der niedrigen Renditen vermutlich die wenigsten Anleger ihr Geld in einen Mikrofinanzfonds investieren - dann doch lieber, um jemand anderem die Existenzgründung zu ermöglichen. Doch können die Mikrofinanzfonds ihr Versprechen überhaupt einhalten? Machen sie die Welt tatsächlich besser?
Kritiker der Minikredite bezweifeln das. Unter anderem, weil es bisher keine belastbaren Studien gibt, die belegen würden, dass sich auf diesem Wege wirklich die Armut eingrenzen lässt. Rainer Thiele, Leiter des Forschungsbereichs Armutsminderung und Entwicklung an der Universität Kiel sagte 2019 gegenüber dem Nachrichtenunternehmen Deutsche Welle, dass ein einzelnes Instrument wie Mikrokredite aus seiner Sicht längst nicht ausreiche, um den Industriesektor in einem Land zu stärken und Armut zu bekämpfen. Andere Kritiker gehen sogar noch weiter und bezeichnen Kleinkredite zu hohen Zinsen gar als entwicklungshemmend, weil sie ärmere Menschen in die Schuldenfalle treiben würden, statt sie zu unterstützen.
Mikrokredite können in die Schuldenfalle treiben
Mikrokredit-Investoren wie Invest in Visions (IIV) halten dagegen. Die Kredite würden nur auf den ersten Blick teuer erscheinen, schreibt das Frankfurter Unternehmen auf seiner Website. “Aufgrund der margenreichen Geschäftsmodelle, kurzen Darlehenslaufzeiten und geringen Beträge” würde sich diese Annahme relativieren.
Und tatsächlich haben Mikrokredite, wie sie 1983 der Banker Muhammed Yunus salonfähig gemacht hat, bereits zahlreiche Erfolgsgeschichten hervorgebracht, von denen Banken und Kreditinstitute in ihren Investitionsberichten erzählen.
Doch das bedeutet noch nicht, dass Kleinkredite immer Gutes bewirken müssen, wie schockierende Berichte aus der Vergangenheit gezeigt haben. Im Jahr 2010 wurde bekannt, dass sich mehrere Schuldner aus dem Süden Indiens das Leben genommen hatten, nachdem sie nicht mehr in der Lage gewesen waren, ihre Schulden zurückzuzahlen. Bei den Darlehensgebern hatte es sich allerdings auch nicht um seriöse Kreditinstitute gehandelt, sondern um dubiose Trittbrettfahrer, die nach dem Modell der Mikrokredite als Geldverleiher aufgetreten waren und horrende Zinsen von 60% und mehr zu langen Laufzeiten gefordert hatten. Nichtsdestotrotz leidet das Image der Mikrokredit-Branche bis heute unter den Geschehnissen.
Zuletzt hatte die Corona-Krise ein Schlaglicht auf den Mikrokredit-Markt geworfen: Meldungen zufolge waren 2020 mehr als 2,5 Mio. Kambodschanerinnen und Kambodschaner durch MFIs in die Verschuldung gerutscht, Gewerkschaften, Verbände und NGOs warnten damals vor einer Überschuldungskrise. Grund dafür war die allgemein eingebrochene Wirtschaft durch die Pandemie gewesen, die mit Entlassungen, Arbeitslosigkeit und Einkommenseinbußen einherging.
Sollten Anleger in Mikrokredite investieren?
Das kommt ganz darauf an, was man sich als Anleger von der Geldanlage verspricht. Wer sein Geld möglichst schnell vermehren möchte, sollte nicht komplett auf Mikrofinanzfonds setzen. Dafür sind die Renditen abzüglich all der Kosten und Gebühren, die zwischen Anleger und Kreditnehmern anfallen, schlichtweg zu niedrig. Als Beimischung kann sich ein Mikrofinanzfonds für viele Menschen dennoch lohnen, wenn auch vor allem emotional. Auch wenn es keine Sicherheit gibt, dass ein Kredit den Schuldner am Ende tatsächlich finanziell besser stellt, ist die Wirkung von Investments in Kleinkredite doch zumindest unmittelbarer als etwa mit ESG-Fonds. Denn wird das Geld über die Börse investiert, fließt es erst einmal nur an einen anderen Aktienhändler, der seine Anteile gerade verkaufen möchte.
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Kommentare (4)
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Peter
sagt am 24. September 2023
Oiko ist eine super Adresse, obwohl mir im Jahresbericht aufgefallen ist, dass die Anlegerzahlen runter und die Mitarbeiterzahlen hoch gehen. Kennt einer eine Alternative zu Oiko für zB die Ukraine?
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Anonym
sagt am 08. Mai 2022
... vielleicht lieber knallhart gewinnorientiert investieren und die Rendite spenden ?! (bspw. Rheinmetall: Kursgewinne an die Ukrainehilfe ) Andererseits dient das in Entwicklungsländern leider oft nicht der wirtschaftlichen Entwicklung vor Ort.
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Olaf
sagt am 06. Mai 2022
Wer es noch selbstloser mag, kann sich oikocredit anschauen und wer eher auf der Seite der Kredithaie steht, mag vielleicht contigo auf mintos.
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Felix
sagt am 15. Mai 2022
Wir haben auch einen oikokredit. Der ist wirklich, sehr zu empfehlen. Und klar ist, dass man da keinen Reibach macht, aber das wollen wir ja damit auch nicht!
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