Sell in May? Börsenweisheiten überprüft
Sell in May and go away
Beginnen wir mit “Sell in May and go away, but remember to come back in September”. Glaubt man der Regel, ließe sich die Rendite also ein wenig erhöhen, indem man im Mai seine Aktien und ETFs verkauft und im September wieder anfängt zu investieren.
Um den Sell in May-Effekt auf die Probe zu stellen, haben wir das Ganze einmal rückblickend am Kurs des S&P 500 durchgespielt. Dieser umfasst die 500 größten börsennotierten Firmen der USA und hat im Gegensatz zu anderen Indizes den Vorteil, dass hier recht viele historische Daten vorliegen.
Nehmen wir an, dass ein Anleger in den 60er-Jahren 1.000€ in diesen Index investiert hat. Gemäß unserer Börsenweisheit wurden die Anteile jedes Jahr im Mai verkauft und im September wurde wieder investiert:
S&P 500 verglichen mit dem Beispielportfolio
Die rote Linie zeigt den Wert des Vermögens, das nach dieser Regel investiert wird. Die blaue Linie zeigt wiederum den Verlauf des S&P 500 Index. Auffällig ist, dass die Investition nach der Börsenregel eine Zeit lang tatsächlich mehr Rendite bringt als der S&P 500. Allerdings sollte man sich davon nicht täuschen lassen. Es gibt auch Zeiträume, in denen das Investieren nach der Börsenregel zu einem schlechteren Ergebnis geführt hätte.
Um das Ganze noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen, haben wir den Kursverlauf des S&P 500 in knapp 400 Zeiträume von jeweils 30 Jahren unterteilt und probieren diese Börsenregel für all diese Zeiträume noch einmal aus. Wir erhalten also am Ende knapp 400 verschiedene Renditen, die Investoren nach der “Sell in May”-Devise zwischen 1960 und 2020 hätten erzielen können.
Demgegenüber haben wir eine völlig neutrale Buy and Hold-Strategie gestellt, die die Börsenregel ignoriert und uns angeschaut, wie viel Rendite in den verschiedenen Zeiträumen erwirtschaftet worden wäre. Und tatsächlich: In den meisten Zeiträumen hätte ein Investor mit der Sell in May-Strategie den Index geschlagen. Dazu muss man sagen: Der Unterschied ist marginal.
Anzahl der Zeiträume, in denen das Beispielportfolio den S&P 500 geschlagen hätte
Das Ergebnis ist ziemlich ausgeglichen, fast 50:50. In fast gleich vielen Zeiträumen erzielte die Börsenregel eine bessere sowie eine schlechtere Rendite. Den Aufwand, regelmäßig zu verkaufen und zu kaufen, kann man sich also gemäß dieser Statistik sparen.
Darüber hinaus haben wir hier nicht mit eingerechnet, dass für jeden Trade beim Broker Ordergebühren fällig werden. Würden wir diese mit berücksichtigen, sähe die Statistik also ungünstiger für die Börsenregel aus.
Trading mit dem gleitenden Durchschnitt
Die Chartanalyse ist ein beliebtes Instrument aktiver Trader. Es gibt unzählige verschiedene Varianten, einen Chart zu analysieren. Eine davon ist das Heranziehen des sogenannten gleitenden Durchschnitts. Mit dem gleitenden Durchschnitt ist immer der durchschnittliche Kurs eines vergangenen Zeitraums zum Beispiel der vergangenen 100 Tage gemeint. In dem folgenden Chart sieht man den Kurs des S&P 500 und seinen gleitenden Durchschnitt.
Der S&P 500 und sein gleitender Durchschnitt
In diesem Falle umfasst der gleitende Durchschnitt immer die Kurse der jeweils letzten 20 Monate unseres Kursverlaufs. Wir sehen in der Grafik, dass der Kurs und der gleitende Durchschnitt sich an manchen Stellen kreuzen. Nämlich immer dann, wenn der Kurs anschließend nach oben oder nach unten tendiert. Das können aktive Trader als Signal nutzen: Wenn zum Beispiel der gleitende Durchschnitt erst unterhalb des Kurses verlief und dann den Kurs kreuzt, wird verkauft. Denn dann geht der Trader davon aus, dass der Kurs auch weiter fallen wird. Und andersherum ist das Signal zum Kaufen, wenn der Durchschnitt erst oberhalb des Kurses verlief und dann den Kurs kreuzt.
Klingt nach einer guten Strategie? Probieren wir das Ganze doch mal aus. Wir investieren wieder in den S&P 500 und wenden die oben skizzierte Regel an: Verläuft der Durchschnitt unter dem Kurs, sind wir investiert. Und verläuft er über dem Kurs, bleibt das Vermögen auf dem Verrechnungskonto.
S&P 500 verglichen mit dem Beispielportfolio
In dem oberen Graphen ist zu erkennen, wie der Wert des Portfolios in manchen Zeiträumen gerade verläuft und nicht mit dem Kurs schwankt. In diesen Zeiträumen liegt es einfach nur auf dem Konto. Das sind die Zeiträume, in denen der Kurs fällt. Steigt der Kurs wieder, beginnt auch das Vermögen wieder zu schwanken, denn hier wird das Vermögen investiert.
Jedoch ist hier auch ein Phänomen sichtbar, das unserem Beispielportfolio die Rendite verhagelt: Weil der gleitende Durchschnitt nun mal immer einen bestimmten Zeitraum hinter dem Kurs her läuft: Bevor sich die beiden Kurse kreuzen, vergeht jedes Mal Zeit. Es wird also immer etwas zu spät gekauft oder verkauft. Positiv ist, dass dadurch einige Kursverluste vermieden werden, andererseits aber auch einige Kursgewinne. Unser Portfolio rentiert fast die ganze Zeit schlechter als der S&P 500.
Auch hier haben wir das Szenario noch einmal genauer unter die Lupe genommen und den Kursverlauf in 400 Zeiträume von jeweils 30 Jahren unterteilt. Vielleicht gibt es ja doch ein paar Zeiträume, in denen sich ein Investment nach dieser Regel gelohnt hätte.
Anzahl der Zeiträume, in denen das Beispielportfolio den S&P 500 geschlagen hätte
Und in der Tat: Ein paar Glücksgriffe wären nach dieser Trading-Regel tatsächlich möglich. Aber in 62% der Szenarien war eine marktneutrale Investition in den Index lohnenswerter. Auch hier hätte sich der Aufwand, regelmäßig kaufen und verkaufen zu müssen, also nicht gelohnt. Und auch hier sind die Transaktionskosten nicht mit eingerechnet.
Zugegeben, wir haben uns hier eine besonders primitive Variante der Trading-Regel ausgesucht. Es gibt unzählige verschiedene Handhabungen, unterschiedlichste gleitende Durchschnitte in den Kursverlauf zu legen und zu vergleichen. Die gängigsten Trading-Signale funktionieren deutlich komplexer als in unserem Beispiel. Sie haben jedoch alle die gleiche Schwachstelle, die sich auch in unserem Test gezeigt hat: Die Zukunft lässt sich nicht voraussagen. Ein gleitender Durchschnitt beinhaltet immer nur die Vergangenheit. So lässt sich auf einen Trend immer nur zu spät reagieren. Wer jedoch davon ausgeht, dass der Kurs ohnehin langfristig nach oben geht, kann also auch einfach investiert bleiben, ohne zwischendurch verkaufen zu müssen.
Barreserven für Krisen
Die Strategie “Buy the dip” meint, immer dann zu kaufen, wenn der Kurs gerade unten ist. Voraussetzung dafür ist, dass man eine Barreserve vorhält, um diese in einer Krise investieren zu können. Das klingt doch ausnahmsweise mal nach einer vernünftigen Regel. Jedoch hat diese Regel zwei Schwachstellen: Erstens weiß man immer erst im Nachhinein, wo der Tiefpunkt eines Kurses war. Und zweitens führt die Barreserve zu sogenannten Opportunitätskosten: Da die Reserve nicht investiert ist, erwirtschaftet diese keine Rendite. Opportunitätskosten sind nichts anderes als ein entgangener Gewinn.
Es gibt mehrere Fonds, die nach diesem Prinzip funktionieren und tatsächlich nicht das gesamte Fondsvermögen in Aktien investieren, sondern zum Beispiel nur 80%. Der Rest wird entweder als Barreserve vorgehalten oder in sichere Staatsanleihen investiert. Sobald die Kurse um einen bestimmten Wert fallen, wird umgeschichtet: Das zuvor nicht in Aktien investierte Vermögen wird investiert und die Aktienquote auf 100% hochgeschraubt. Sobald die Kurse wieder um einen bestimmten Prozentsatz gestiegen sind, werden 20% des investierten Vermögens verkauft und die ursprüngliche Aktienquote von 80% wiederhergestellt.
Was bringt die Taktik? Wir haben das Ganze erneut anhand der historischen Kurse des S&P 500 nachgestellt und zwar nach den folgenden Regeln:
- 80% des Vermögens ist in den S&P 500 investiert und die restlichen 20% bleiben auf dem Verrechnungskonto.
- Wenn der Kurs im Vergleich zum letzten Allzeithoch um 20% verliert, wird der Betrag auf dem Verrechnungskonto ebenfalls in den S&P 500 investiert.
- Sobald der Kurs um 40% höher liegt als das 3-Jahres-Tief, werden 20% verkauft, die anschließend wieder als Barreserve auf dem Verrechnungskonto verwahrt werden.
S&P 500 verglichen mit dem Beispielportfolio
Wie der obere Chart zeigt, liegt der Wertverlauf von dem Portfolio, das nach diesen Regeln investiert, stets unter dem Kurs des S&P 500. Auch hier haben wir den gesamten Kursverlauf noch einmal in knapp 400 Zeiträume von je 30 Jahren unterteilt, um zu untersuchen, ob es Zeiträume gibt, in denen sich diese Strategie gelohnt hätte.
Anzahl der Zeiträume, in denen das Beispielportfolio den S&P 500 geschlagen hätte
Wer suchet, der findet: Tatsächlich gibt es Zeiträume, in denen sich diese Strategie gelohnt hat. Jedoch sind es ganze 95% der Zeiträume, in denen das neutrale Investment in den Index besser gewesen wäre.
Woran liegt das? Schauen wir uns den Kursverlauf dazu noch einmal genauer an. Die meiste Zeit steigt der Kurs des S&P 500. In dieser Zeit ist unser Portfolio nach den obigen Regeln aber immer nur zu 80% investiert. Die Zeiten, in denen die Kurse nach unten fallen sind jedoch verhältnismäßig wenige. Und in diesen Zeiten brechen die Kurse im Rückblick betrachtet nicht allzu dramatisch ein. Da das Vermögen die allermeiste Zeit aber nur zu 80% investiert ist, kann man auch nicht mit dem gesamten Vermögen von den hohen Kursgewinnen profitieren.
Rebalancing als Rendite-Booster?
Das sogenannte Rebalancing wird häufig als Rendite-Booster bezeichnet. Nehmen wir an, du investierst in ein Portfolio, bestehend aus zwei verschiedenen Aktienindizes. Zu 70% wird in den MSCI World und zu 30% in den MSCI Emerging Markets investiert. Diese bilden Tausende Aktien aus Industrie- bzw. Schwellenländern ab. Die Mischung beider Indizes ist interessant, weil diese sehr unterschiedliche Märkte abbilden und deren Kurse sich daher zum Teil sehr unterschiedlich entwickeln. Der untere Graph zeigt, wie unterschiedlich die Kursverläufe des MSCI World und des MSCI Emerging Markets seit 1987 waren.
So unterschiedlich verlaufen der MSCI World und der MSCI Emerging Markets
Hätte man sich ein solches 70/30-Portfolio im Jahr 1987 eingerichtet und die Kurse der beiden Indizes einfach laufen lassen, würde dieses heute zu 58% aus dem MSCI World und zu 42% aus dem MSCI Emerging Markets bestehen. Die ursprüngliche 70/30-Portfoliostruktur wäre durch die sehr unterschiedlichen Kursverläufe stark verändert. Um die anfängliche Struktur von 70% und 30% beizubehalten, müsste das Portfolio in regelmäßigen Abständen wieder neu ausbalanciert werden. Das wird als Rebalancing bezeichnet.
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Läuft ein Index besser als ein anderer, werden beim Rebalancing von diesem Anteile in den schlechter laufenden Index umgeschichtet. Anhand der beiden obigen Indizes haben wir das rückblickend durchgespielt und sind zu folgendem Ergebnis gekommen:
Portfolio mit und ohne Rebalancing
Das Portfolio, welches regelmäßig ein Rebalancing erfährt, verläuft besser als das Portfolio, bei dem dieses nicht passiert. In unserem Beispiel wurde einmal im Jahr umgeschichtet.
Auch diesen Chart haben wir wieder in zahlreiche Zeiträume unterteilt, um zu untersuchen, in wie vielen dieser Zeiträume sich ein Rebalancing tatsächlich lohnt. Wie die untere Grafik verdeutlicht, war ein Rebalancing in 95% der Szenarien von Vorteil.
Anzahl der Zeiträume, in denen das Rebalancing-Portfolio besser gelaufen wäre
Wie kommt diese bessere Rendite zustande? Eine mögliche Erklärung dafür liefert das Phänomen der “Regression zur Mitte”. Der Theorie zufolge gleicht sich ein Aktienkurs langfristig immer einem Mittelwert an. Das bedeutet: Wenn der Kurs eine Zeit lang eher schlecht verlaufen ist, folgt danach eine Zeit, in der er besser läuft und umgekehrt. Wann dieser Zeitpunkt kommt und wie lange er dauert, kann jedoch niemand vorhersehen.
Betreibt man regelmäßiges Rebalancing, werden mehr Anteile von dem Wertpapier gekauft, das schlechter läuft. Nach dem obigen Phänomen folgt auf die Durststrecke jedoch irgendwann eine Phase, in der der Kurs überdurchschnittlich ansteigt. Nun hat man von diesem Wertpapier mehr Anteile gekauft und dementsprechend nimmt dieses Wertpapier nun zunehmend mehr Raum im Portfolio ein. Dieser Gewinn wird dann wiederum in das andere Wertpapier umgeschichtet, um die Portfoliostruktur aufrecht zu erhalten.
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Time in the market beats timing the market
Oktober: Dies ist einer der besonders gefährlichen Monate, um mit Aktien zu spekulieren. Die anderen sind Juli, Januar, September, April, November, Mai, März, Juni, Dezember, August und Februar.Mark Twain
Dieses Zitat von Mark Twain trifft es auf den Punkt: Investieren in den Aktienmarkt birgt ein gewisses Risiko und das ist auch gut so. Denn dieses Risiko ermöglicht diesem Investment eine höhere Rendite als beispielsweise auf dem Tagesgeldkonto. Dabei ist es vollkommen gleich, in welchem Monat man investiert. Wenn es eine Börsenweisheit gibt, die belegbar zutrifft, dann ist es diese: “Time in the market beats timing the market”. Alle getesteten Szenarien, bis auf das Rebalancing, haben gemeinsam, dass man nicht immer im Markt investiert ist, sondern zeitweise das Vermögen auf dem Konto liegen hat. In dieser Zeit wächst das Kapital auch nicht, wenn die Kurse steigen, was sich langfristig negativ auf die Rendite auswirkt. Je länger man investiert ist, desto höher ist die Rendite, die das investierte Vermögen abwerfen kann. Dies ist jeder Art von Markettiming überlegen.
Können Börsenweisheiten überhaupt funktionieren?
Beginnen wir direkt mit einem Spoiler: Die bekannten Börsenweisheiten funktionieren nicht. Denn der größte Feind von solchen Sprüchen ist die Markteffizienzhypothese. Selbst wenn eine Börsenregel funktionieren sollte und in der Lage ist, Anlegerinnen und Anlegern eine Überrendite zu bescheren – die Markteffizienzhypothese macht sie irgendwann zunichte. Was ist das also für eine Hypothese?
Die Markteffizienzhypothese besagt, dass im Preis einer Aktie bereits alle bekannten Informationen eingepreist sind. Zum Beispiel: Einem Unternehmen steht ein gigantischer Erfolg bevor, der in den nächsten Monaten eintritt. Der ungeübte Anleger wird sagen: “Der Aktienkurs dieser Firma wird in den nächsten Monaten steigen”. Der erfahrene Anleger weiß: “Der Aktienkurs ist mit bekanntwerden dieser Information bereits gestiegen”. Es mag sein, dass der Aktienkurs wegen anderer Umstände in der Zukunft steigen oder sinken wird. Diese Information wird dir als Anleger jedoch keinen Kurserfolg bescheren.
Ähnlich verhält es sich mit Börsenweisheiten. Angenommen, es sei tatsächlich so, dass eine simple Börsenregel eine Überrendite ermöglicht: Große Institutionelle und viele andere Anleger würden diese Regel dann anwenden und somit den Erfolg dieser Regel zunichtemachen.
Sobald im Aktienmarkt Phänomene identifiziert werden, die zu einer Überrendite führen können, werden diese durch die Marktteilnehmer ausgeglichen. Es bleiben also nur zwei Möglichkeiten, Überrenditen zu erzielen: durch Glück und durch nicht öffentlich zugängliches Insiderwissen.
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