11 Millionen Euro für Limonade und Banking
Rendite machen und dabei die Welt verbessern - immer mehr Firmen werben mit diesem Versprechen. Darunter auch das Fintech Tomorrow, das sich auf nachhaltige Finanzen spezialisiert hat, und die Hamburger Getränkefirma Lemonaid, die faire Softdrinks verkauft. Die beiden Unternehmen verbindet nicht nur eine ähnliche Nachhaltigkeitsmission, sondern auch ein gemeinsamer Gründer. Noch dazu nutzen sie die gleiche und nicht unumstrittene Form der Finanzierung: das Crowdinvesting. In diesem Herbst haben beide Unternehmen zusammen 11 Mio. Euro von Privatanlegern eingesammelt, statt sich an Großinvestoren, Venture Capital-Geber oder eine Bank zu wenden. Für Lemonaid ist es die erste Kampagne überhaupt, Tomorrow tritt als Wiederholungstäter auf. Ihren Investoren stellen beide Wachstumsfirmen 5% Zinsen pro Jahr plus Gewinnbeteiligungen in Aussicht. Doch genügt das, um die immensen Risiken des Crowdinvesting zu kompensieren?
Was ist Crowdinvesting?
Etwa 2014 schwappte der Trend des Crowdinvesting nach Deutschland herüber und wird seither von mehr und mehr Organisationen, Unternehmen und Projektentwicklern als Alternative zur klassischen Finanzierung genutzt: Statt einen Bankkredit aufzunehmen oder Venture-Capital-Geber zu umgarnen, wird “die Crowd” angezapft, will heißen: Privatleute, die ihr Geld investieren und gleichzeitig Gutes tun möchten. Anders als beispielsweise im Private Equity Bereich können die Anleger in der Regel bereits mit kleinen Summen von 100 oder 200€ einsteigen. Im Gegenzug erhalten sie das Recht auf jährliche Zinszahlungen oder eine Beteiligung an Gewinnen, teilweise auch beides. Dazu erwerben sie ein Finanzinstrument, das ihnen ihre Rechte zusichert. Das kann ein Genussrecht, ein Nachrangdarlehen oder eine stille Beteiligung sein. Was es mit solchen Produkten auf sich hat und warum sie mit Vorsicht zu genießen sind, klären wir gleich.
Crowdinvesting ist nicht zu verwechseln mit dem spendenbasierten Crowdfunding: Beim Crowdfunding erhalten die Geldgeber in der Regel keinerlei finanzielle Gegenleistung für ihre Investition, sondern allenfalls eine materielle Entschädigung - beispielsweise ein Buch des Autoren, den man finanziell bei seiner Veröffentlichung unterstützt hat.
Der Fall Lemonaid: Was steckt hinter der ersten Crowd-Kampagne?
Zwölf Jahre nach seiner Gründung ist nun auch das Unternehmen Lemonaid auf den Geschmack der Schwamfinanzierung gekommen. Unter Hashstags wie “sozial veranlagt” und mit Slogans wie “Zinsen gibt’s jetzt auch in Bio” hat der Hersteller fair produzierter Limonaden und Säfte seine Crowd-Kampagne im Voraus angekündigt.
Mit Erfolg, wie sich Anfang November mit Start des Crowdinvesting gezeigt hat: Binnen Stunden hat das Unternehmen 3 Mio. Euro von der Crowd eingesammelt. Mehr als 1.500 Privatpersonen haben der Firma ihr Geld geliehen, das sie nun - so sieht es der Deal vor - frühestens in fünf Jahren wiedersehen werden. Im Gegenzug sollen sie pro Jahr 5% Zinsen auf ihr investiertes Kapital erhalten, die jährlich ausgeschüttet werden.
Digitale Wertpapiere als Schuldverschreibungen
Was sie erwerben, sind tokenbasierte Schuldverschreibungen. Dabei handelt es sich um digitale Wertpapiere, die eine Zahlungsverpflichtung der Emittentin (Lemonaid) gegenüber den Investoren (der Crowd) begründen. Lemonaid spricht bewusst nicht von Genussrechten oder Genussscheinen, die prinzipiell genauso funktionieren, bei denen die Ansprüche aber zusätzlich in einer Urkunde verbrieft werden. Bei den tokenbasierten Schuldverschreibungen gibt es eine solche Urkunde nicht.
Zinsen, Bonuszinsen und Exiterlöse
Insgesamt 60.000 solcher Schuldverschreibungen mit einem Nennbetrag von jeweils 50€ hat Lemonaid am 2. November ausgegeben. So kommt der Gesamtnennbetrag von 3 Mio. Euro zustande. 250€ und damit mindestens fünf Schuldverschreibungen musste pro Anleger mindestens investiert werden, 25.000€ durften es maximal sein. Die feste Verzinsung beträgt 5% und soll jährlich zu Beginn des Geschäftsjahres im Januar ausgezahlt werden. Eine Kündigung vor Ablauf der Frist ist vonseiten des Anlegers nur dann erlaubt, wenn “besondere” Gründe vorliegen. Dazu zählt beispielsweise, dass ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, Zinszahlungen ausbleiben oder sonstige finanzielle Schwierigkeiten öffentlich werden. Neben den 5% jährlichen Zinsen wirbt Lemonaid mit einer Gewinnbeteiligung in zweierlei Form:
Im Falle eines Exit: Sollte es zu einem Verkauf oder Teilverkauf von Lemonaid während der Laufzeit kommen, will die Emittentin die Anleger an dem Exiterlös beteiligen, sofern dieser größer ausfallen würde als der Nennbetrag, den ein Anleger investiert hat. Gleiches gilt im Falle eines Börsengangs (IPO-Exit). Wie hoch die Beteiligung letztlich ausfällt, hängt von der Höhe des Exiterlöses sowie der Höhe des gewinnberechtigten Kapitals ab. Bei dem gewinnberechtigten Kapital handelt es sich um das Stammkapital der Firma plus die Summe aller digitalen Geschäftsanteile, die das Unternehmen herausgegeben hat.
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Bonuszins: Die zweite Form der Gewinnbeteiligung soll über einen sogenannten Bonuszins erfolgen, der weder garantiert noch in seiner Höhe vorher festgelegt ist. Dieser wird ausgeschüttet, wenn Gewinne aus dem operativen Geschäft erwirtschaftet werden, man spricht hier vom sogenannten EBIT (Ergebnis der Geschäftstätigkeit vor Zinsen und Steuern). Einen Prozent dieses EBIT will Lemonaid mit seinen Crowd-Investoren teilen. Je mehr Schuldverschreibungen ein Anleger erworben hat, also je mehr Geld er oder sie investiert hat, desto höher fällt die Beteiligung an dem einen Prozent aus. Der Haken bei der Sache ist: Es muss erst einmal Gewinn bei Lemonaid übrig bleiben, um ihn unter den “Crowdies” zu verteilen. Die wenigsten Wachstumsunternehmen oder Startups legen Gewinne zurück, für gewöhnlich wird so viel reinvestiert wie nur irgend möglich, um das Geschäft auszubauen und dem Wettbewerb am Markt standhalten zu können.
Wie sich das Unternehmen wirtschaftlich entwickelt, darüber will Lemonaid seine Privatinvestoren halbjährlich in Form von Investoren-Reportings und Updates zu Geschäftszahlen oder Jahresabschlüssen informieren.
Warum sich Crowdinvesting vor allem für die Emittenten lohnt
Als Begründung für die Crowd-Kampagne führt Lemonaid auf allen Kanälen dieselben uneigennützigen Motive an: Man wolle die Community am Erfolg des Unternehmens teilhaben lassen, sagt zum Beispiel Lemonaid-Geschäftsführer Paul Bethke in einem Live-Stream vor Start der Kampagne. “Warum sollten wir Zinsen an konventionelle Investor*innen und Banken zahlen, wenn genauso gut echte Überzeugungstäter*innen davon profitieren können?”, prangt als Leitmotiv auf der Website. Eingesetzt werden soll das Geld, um bestehende Darlehen abzulösen, die das Unternehmen vor Jahren aufgenommen hat, erklärt Bethke. Man wolle sich “weiter unabhängig machen von Geldgebern”.
Unabhängigkeit bietet das Modell des Crowdinvesting zur Genüge. Denn eine wirkliche “Teilhabe” am Unternehmen, wie man sie beispielsweise durch den Kauf von Aktien oder Private-Equity-Beteiligungen erhält, bekommen die “Crowdies” nicht.
Das ist ein Grund, warum sich Crowdinvesting für Emittenten wie Lemonaid lohnt. Die Vorteile im Überblick:
- Niemand kann einem reinreden: Die Schuldverschreibungen gewähren ihren Käufern keinerlei Mitsprache, Stimmrechte oder sonstige Möglichkeiten der Mitwirkung am Unternehmen, wie es bei Wertpapiere wie Aktien der Fall ist. Mit anderen Worten: Das Unternehmen muss sich von niemandem reinreden lassen. Wer investiert, wird zum Gläubiger, aber nicht zum Miteigentümer.
- Verbessertes Rating: Über Crowdinvesting eingesammeltes Kapital können Unternehmen ihre Kreditwürdigkeit verbessern, indem sie die Eigenkapitalquote erhöhen. Sollte Lemonaid also in Zukunft einen Kredit aufnehmen oder ähnliche Wertpapiere wie Unternehmensanleihen herausgeben wollen, könnte ihnen das zugute kommen.
- In guten, aber nicht in schlechten Zeiten: Die Schuldverschreibungen sind ähnlich wie Genussscheine mit einer sogenannten vorinsolvenzlichen Durchsetzungssperre ausgestattet. Lemonaid als Emittentin ist damit nicht verpflichtet, seinen Zahlungsansprüchen nachzukommen, wenn es die eigene finanzielle Situation gerade nicht zulässt. Schon bei drohender Zahlungsunfähigkeit müssen keine Forderungen mehr geltend gemacht werden.
- Niedrige Zinsen: Die Zinsen für Crowd-Investoren sind meist deutlich niedriger als das, was professionellen Risikokapitalgebern versprochen wird, wenn sie direkte Beteiligungen an einem Unternehmen erwerben. Auch können die meisten Startups oder Wachstumsunternehmen davon ausgehen, dass ihnen von der Crowd weniger kritisch in die Geschäfts- und Jahresberichte geschaut wird, als wenn sie sich an einen professionellen Großinvestor wenden würden. Statt nackter Zahlen interessiert viele Crowd-Anleger vor allem, ob sie sich mit der Mission des Unternehmens identifizieren können.
Der Fall Tomorrow: Fintech sammelt 8 Mio. Euro ein
Ähnliche Beweggründe dürften das Fintech Tomorrow dazu bewogen haben, in diesem Herbst erneut den Weg über die Crowd zu gehen. Vor ziemlich genau einem Jahr hatte das Hamburger Social Business seine erste Crowd-Kampagne gestartet und 3 Mio. Euro von insgesamt 2.000 Privatinvestoren eingesammelt - in einer damaligen Rekordzeit von 300 Minuten. Jetzt, ein Jahr später, war der Ansturm auf die Genussrechte des Startups noch mal höher: Bis zum Nachmittag des nächsten Tages sammelte Tomorrow ganze 8 Mio. Euro ein.
Im Falle von Tomorrow sind es tokenbasierte Genussrechte, die das Unternehmen ausgegeben hat. Also Finanzinstrumente, die ähnlich konzipiert sind wie die tokenbasierten Schuldverschreibungen von Lemonaid. Die Mindestanlagedauer beträgt ebenfalls fünf Jahre, erst dann dürfen die Schuldverschreibungen gekündigt werden. Verpasst ein Anleger die Kündigungsfrist von drei Monaten, verlängert sich das Investment automatisch um weitere fünf Jahre. Vonseiten der Emittentin kann der Deal mit den Crowdies übrigens sowohl bei Lemonaid als auch bei Tomorrow jederzeit aufgekündigt werden. In einem solchen Fall bekommt der Anleger den anfangs investierten Nennbetrag zurückgezahlt sowie 50% der zu diesem Zeitpunkt noch ausstehenden Zinszahlungen. Einen Unterschied zu der Kampagne von Lemonaid gibt es: Die versprochenen 5% Zinsen zahlt Tomorrow nicht jährlich, sondern erst am Ende der fünf Jahre Mindestlaufzeit aus.
“Aktuell haben wir keinen konkreten Plan zum Börsengang”
Eine zusätzliche Gewinnbeteiligung stellt aber auch Tomorrow in Aussicht. Dazu könnte es kommen, sollte sich Tomorrow in einem Jahr entschließen, eine Dividende an ihre Investoren auszuzahlen. Sollte die Dividende dann höher ausfallen als die Mindestverzinsung von 5% pro Jahr, würde Tomorrow die Differenz ausgleichen. Wie schon bei den Bonuszinsen bei Lemonaid ist es allerdings eher unwahscheinlich, dass ein stark wachsendes Fintech wie Tomorrow seine Jahresüberschüsse nicht reinvestiert. Das war beispielsweise vergangenes Jahr der Fall, als Tomorrow keine Gewinnüberschüsse erzielte und entsprechend auch keine Gewinnbeteiligungen an die Crowdies ausbezahlt wurden, die bereits bei der ersten Kampagne investiert haben.
Auch bei Tomorrow gibt es eine Regelung speziell für den Fall eines Exit. Sollte Tomorrow beispielsweise an die Börse gehen, würde der Wert des Unternehmens steigen und damit auch der Wert der Crowd-Anteile, die die Anleger erworben haben. Aber ist so ein Szenario überhaupt realistisch? “Was in fünf Jahren passiert, ist natürlich schwer zu sagen”, sagt Andreas Feindt, Business Development Manager bei Tomorrow. “Aktuell haben wir keinen konkreten Plan zum Börsengang. Aber die maximale Laufzeit beträgt ja zehn Jahre. In so einer Zeitspanne wäre solch ein Szenario realistisch.”
Illiquide, nachrangig und riskant: Warum sich Crowdinvesting für Anleger selten lohnt
Eine Rückzahlung des investierten Kapitals plus 5% Zinsen p.a. sichern beide Unternehmen der Crowd als eine Art “Mindestverzinsung” zu. Das Problem dabei ist: Garantiert sind diese Zinsen nicht. Denn sollten die Unternehmen tatsächlich in finanzielle Schwierigkeiten geraten, wird es für die Crowd-Investoren ungemütlich.
Bei Insolvenz droht der Totalverlust
Wie schon ein normales Startup-Investment, bei dem tatsächliche Beteiligungen erworben werden, also Venture Capital (Wagniskapital) in Form einer Aktie oder über eine Private-Equity-Gesellschaft zur Verfügung gestellt wird, birgt auch ein Crowdinvestment ein Totalverlustrisiko. Sollten Tomorrow oder Lemonaid in den kommenden Jahren in finanzielle Schwierigkeiten oder gar ein Insolvenzverfahren rutschen, werden automatisch alle Ansprüche der Investoren aufgehoben. Die Emittenten sind dann nicht mehr verpflichtet, Zinsen auszuzahlen oder Anlagebeträge zurückzuzahlen. Was durch die oben erwähnte vorinsolvenzliche Durchsetzungssperre auch schon dann gilt, wenn sich ein Insolvenzverfahren nur ankündigt. Das Geld der Investoren wäre in diesem Fall mit hoher Wahrscheinlichkeit weg. Was mit Widrigkeit Nummer Zwei zu tun hat:
Die Crowd steht ganz hinten in der Schlange
Die ausgestellten Finanzprodukte sind nachrangig, was so viel bedeutet wie: die Crowd-Anleger werden im Falle eines Insolvenzverfahrens nach allen anderen Gläubigern bedient. Nur wenn nach Begleichen aller anderen Forderungen noch genügend Kapital übrig sein sollte, um die Crowd zu entschädigen, bekommen die Privatanleger etwas zurück. Was erfahrungsgemäß eher selten vorkommt.
Laufzeit kann sich verlängern
Die Emittenten behalten sich außerdem vor, die Zahlung von Zinsen oder die Rückzahlung von Kapital zu verzögern. Sollten finanzielle Schwierigkeiten auftreten, könnten die Schuldverschreibungen um Jahre verlängert werden, bis sich die Lage gebessert hat. Eine Kündigung könnte dann zum Beispiel erst nach zehn Jahren erfolgen.
Ganz grundsätzlich machen sich Crowd-Anlegerinnen und -Anleger als Crowdies also extrem abhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens, in das sie investieren. Sie riskieren, dass das Geschäft doch nicht läuft wie geplant, dass es zu Planungsfehlern oder Managementfehlern kommt, Kosten steigen oder Umsätze fallen und das Unternehmen dadurch finanziell ins Straucheln gerät, was die Investoren im schlimmsten Fall ihr gesamtes investiertes Kapital kosten kann. All solche unternehmensspezifischen Risiken gehen auch Käufer von Einzelaktien ein. Immerhin lassen sich börsennotierte Wertpapiere aber innerhalb kürzester Zeit und ohne Probleme wieder veräußern.
5% Zinsen: Kein adäquater Ausgleich für das Risiko
Angenommen, ein Anleger hat für 1.000€ Crowd-Anteile bei Lemonaid oder Tomorrow erworben. Sollte in den kommenden fünf Jahren tatsächlich alles glatt laufen, käme er durch die jährlichen Zinszahlungen im Jahre 2026 auf eine Gesamtrendite von 250€ (Zinseszinsen werden nicht ausgezahlt). Kompensiert eine solche Renditeerwartung das immense Risiko, das der Crowdinvestment-Deal für Anleger bedeutet? Keineswegs.
Das beweist ein Blick auf die durchschnittlichen Renditen, die einerseits der Private-Equity-Markt und andererseits der Aktienmarkt in den vergangenen Jahrzehnten hervorgebracht haben. Diesen Blick hat der Vermögensverwalter Gerd Kommer unternommen und dabei festgestellt: Der Markt der Private-Equity-Anlagen, also jener Investitionen, bei denen einem Unternehmen Eigenkapital bereitgestellt wird, hat zwischen 1994 und 2020 pro Jahr um 8,6% an Wert gewonnen. Hier dargestellt am LPX50 Index, der die 50 größten Private-Equity-Unternehmen der Welt abbildet. Für den Vergleich mit dem Aktienmarkt hat Kommer den MSCI World Small Cap Index herangezogen, der rund 3.400 Unternehmen mit geringer Marktkapitalisierung abbildet und in demselben Zeitraum eine Wertentwicklung von 9,7% hingelegt hat. Die 5%, welche Lemonaid und Tomorrow ihren Crowdies in Aussicht stellen, erscheinen angesichts dieser Zahlen als enttäuschende Alternative. Das hohe Risiko, das die nachrangig ausgestellten Wertpapiere mit sich bringen, wird keinesfalls ausreichend kompensiert.
Vergleicht man die 5% Zinsen mit breit diversifizierten Aktien-Indizes wie dem MSCI ACWI, wird einmal mehr deutlich, dass die Risikokompensation bei den Crowd-Kampagnen ernüchternd ist. Seit 2011 hat der Aktienindex Investoren beispielsweise eine jährliche Gesamtrendite von 11,35% vor Inflation eingebracht. Auch hier tragen Anlegerinnen und Anleger ein allgemeines Marktrisiko, jedoch kein Klumpenrisiko wie bei einer Startup-Investition - sei es über Crowdinvesting oder Private Equity. Es wird in mehr als 1.600 Unternehmen gleichzeitig investiert, das Risiko ist also breit gestreut.
Crowdinvesting-Markt: Ist der Boom vorbei?
Lemonaid und die Tomorrow Bank sind längst nicht die einzigen Unternehmen, die Kapital über Crowdinvesting-Plattformen von Privatleuten einsammeln, statt sich an große Investoren zu wenden. Ganze 327 Mio. Euro haben private Investoren im Pandemie-Jahr 2020 in den Crowdinvesting-Markt investiert. Klingt nach einer ganzen Menge, ist aber erstmals weniger als im Vergleich zum Vorjahr. 2019 waren es noch mehr als 417 Mio. Euro. Im Bereich Unternehmensfinanzierungen beträgt das Minus laut aktuellem Marktreport der Crowdinvest Insight GmbH sogar mehr als 37%. Die Crowdinvesting-Plattform Kapilendo erklärt sich den Rückgang beispielsweise so, dass sie selbst im Corona-Jahr 2020 wegen der wirtschaftlichen Lage keine Neufinanzierungsprojekte angeboten hätten. Der FAZ sagte der Bundesverband Crowdfunding, dass sich Anleger 2020 verunsichert gezeigt hätten, es 2021 aber wieder bergauf gehe. Es bleibt abzuwarten, welche Zahlen der Marktreport für 2021 bringen wird. Fest steht: Jedes Jahr werden Tausende von Crowdinvesting-Projekten deutschlandweit finanziert - und jedes Jahr wieder bangen deutschlandweit Crowd-Investoren um ihre Einlagen.
Die Datenbank von crowdinvest.de zählt aktuell mehr als 400 Projekte allein im Bereich Startup. 253, also knapp 60% dieser Projekte, sind noch aktiv, der Emittent ist also noch am Markt tätig. In diese Kategorie fällt beispielsweise auch das Startup Tomorrow. Bei knapp 30% der Projekte dagegen ist der Status entweder “unklar” oder es wurde bereits ein Ausfall festgestellt. Im Bereich Wachstumsunternehmen tragen knapp 18% der Unternehmen den Status “Unklar” oder “Ausfall”, im Bereich Immobilien liegt der Prozentsatz bei gerade einmal 1,2%. Vor allem bei der Unternehmensfinanzierung kommt es also alles andere als selten vor, dass Projekte scheitern und Anleger in die Röhre schauen.
Crowd-Investments können gut ausgehen - oder den Totalverlust bringen
Investieren mit gutem Gewissen, in Projekte und Firmen, die etwas bewegen möchten, war immer schon ein Verkaufsschlager, und das ist in Ordnung. Nur rechtfertigt das längst nicht die miserable Risikokompensation, die viele Crowd-Projekte für Anleger bedeuten. Einer Firma sein Geld zu überlassen, muss auch rentabel und vor allem fair bepreist sein.
Zweifelsohne hat die Idee des Crowdinvesting seine Vorteile für die Anlegerschaft: Privatinvestoren können so bereits zu Kleinstbeträgen in Wachstumsunternehmen investieren, die noch nicht an der Börse gelistet sind. Lohnen tut sich das vielfach aber nicht, angesichts der extremen Risiken, die im Falle von nachrangigen Papieren sogar höher als bei einem direkten Startup-Investment sind. Verglichen mit dem Markt für börsennotierte Startups und Wachstumsunternehmen sind die Renditen vieler Crowdinvestment-Projekte bemerkenswert niedrig. Noch dazu geben Investorinnen und Investoren jegliche Flexibilität ab, denn Crowd-Anteile lassen sich nicht wie Aktien an der Börse handeln. Sie sind völlig illiquide. Vorteile hat das Geschäft mit der Crowd also vor allem für jene, die die Kampagnen starten: Sie sammeln binnen Stunden sehr viel Geld ein, ohne wahrhaftig Anteile an ihrem Unternehmen oder gar Mitspracherechte abzugeben. Natürlich kann das Ganze auch gut gehen, das Startup einen Höhenflug hinlegen und Gründer wie Investoren mit einem Plus aus der Sache gehen. Geht der Plan jedoch nicht auf, weil “der Markt noch nicht bereit war”, wie es dann gern rückblickend vonseiten der Initiatoren heißt, wird es schmerzhaft - und das für beide Seiten gleichermaßen.
Kommentare (5)
A
Anonym
sagt am 11. Juni 2022
Ich bin selbst Crowdinvestorin bei tomorrow. Ich fand die Idee am Anfang sehr gut und wollte ursprünglich noch mehr investieren, hab das, nachdem ich mir die Konditionen durchgelesen habe, aber deutlich reduziert und dann am Schluss "nur" 200€ investiert um quasi ein Eintrittsticket für Veranstaltungen zu haben und ja auch, weil ich trotzdem ein Teil davon sein wollte. Ich kann aber die Kritikpunkte hier sehr gut nachvollziehen und hab einige Dinge gelernt, die mir so nicht klar waren. Als kleine Verteidigung wollte ich trotzdem anbringen, dass tomorrow zumindest halbwegs transparent mit den Risiken umgeht, und sie darüber informiert haben, dass die Investition sehr risikoreich ist, im schlimmsten Fall der Totalverlust droht und man kein Geld investieren sollte, das man nicht übrig hat. Außerdem denke ich, dass sie bei der Auswahl möglicher anderer Investoren vielleicht etwas eingeschränkter sind als andere Start-ups. Sie können ja schlecht davon reden, dass sie alles besser machen und andere Banken kritisieren für deren Investitionen in Rüstung und nicht-nachhaltige Unternehmen und dann hintenrum trotzdem z.B. mit der Deutschen Bank zusammenarbeiten. Aber das nur als Ergänzung, ich denke trotzdem, dass die meisten Leute, die dort investieren (so wie ich ja auch) sich nicht wirklich im Klaren darüber sind, inwieweit die Konditionen fair sind.
A
Anonym
sagt am 28. Oktober 2022
Ich sehe das ganz ähnlich. Soeben wurde ja eine dritte Crowdinvesting-Runde für November 2022 angekündigt. Danach soll die Crowd ein Mitspracherecht in Form einer Vertretung im Advisory Board der Unternehmensführung bekommen. Würde mich interessieren, wie Finanzfluss diesen Schritt der tomorrow bank bewertet.
S
Steve
sagt am 30. November 2021
Geht der Plan jedoch nicht auf, weil “der Markt noch nicht bereit war”, wie es dann gern rückblickend vonseiten der Initiatoren heißt, wird es schmerzhaft – und das für beide Seiten gleichermaßen.
M
Malte Becker
sagt am 29. November 2021
Mal wieder ein Super Artikel! Schon krass wieviel Geld in diese Anlagekategorie reinfließt!
J
Johann
sagt am 30. November 2021
Ja finde ich auch, vor allem wenn man bedenkt dass es Crowdinvesting in dieser Form nur seit ein paar Jahren gibt.
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