35 Jahre DAX: Ist die Performance nur Schummelei?
Wer in den 80ern schon auf der Welt war, hat einiges erlebt. Den Mauerfall zum Beispiel, die Atomkraft-Demos oder violette Aerobic-Hosen. Mit Blick auf die deutschen Börsen ist vor allem ein Ereignis aus den 80ern erinnerungswürdig: die Geburt des DAX. Am 1. Juli 1988 feierte der Deutsche Aktienindex seine Premiere an der Frankfurter Börse und hat nun bereits 35 Jahre auf dem Buckel. Damit gehört der deutsche Leitindex trotzdem noch zu den Nesthäkchen seiner Branche. Der amerikanische Dow Jones ist beinahe 140, der japanische Nikkei 73 Jahre alt und der britische FTSE 100 immerhin 39. Umso erwartungsvoller zeigte man sich 1988 bei der Geburtsstunde des DAX. Ein Autor der Zeit bezeichnete ihn in der Juli-Ausgabe 1988 als “wichtigen Schritt aus der Provinzialität des deutschen Aktienmarktes”. Rüdiger von Rosen, Chef der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Wertpapierbörsen und einer der Erfinder des DAX, erwartete, der Leitindex würde sich zum “Aktienindex schlechthin” entwickeln.
Und heute? Herrscht vor allem Zerrissenheit über die Frage, was man vom deutschen Leitindex halten soll. Während die einen von einer “Erfolgsgeschichte” schwärmen (“Der Aktionär”) oder dem DAX “35 starke Jahre” attestieren (comdirect), sehen andere wenig Grund zum Feiern. In Kritikerkreisen ist der DAX als Mogelpackung verschrien, trägt den Beinamen “Botox-DAX” (“ntv”), manch einer unterstellt ihm “Etikettenschwindel” (“SZ”). Der Vorwurf: Der DAX stelle sich besser dar, als er eigentlich ist. Ist die Rendite des Deutsche Leitindex wirklich nur eine Täuschung?
Nur ein Bruchteil der deutschen Wirtschaft
Der “Aktienindex schlechthin” dürfte der DAX schon deswegen für viele nicht sein, weil er gerade mal ein paar Dutzend Werte umfasst. Inzwischen sind es 40, bis vor zwei Jahren waren es noch 30. Das genügt längst nicht, um sich als Anleger breit aufzustellen, doch dazu gleich mehr.
Bei den 40 Unternehmen des DAX handelt es sich um die größten beziehungsweise nach Marktkapitalisierung wertvollsten börsengelisteten Unternehmen des Landes. Dabei haben die Kandidaten in den vergangenen 35 Jahren mehrmals gewechselt. Alle drei Monate wird überprüft, wer gerade zur Speerspitze der deutschen Börsenlandschaft gehört und gegebenenfalls neu gemischt. Dabei gilt: Je höher die Marktkapitalisierung ist, desto mehr Gewicht nimmt die Aktiengesellschaft im Index ein. Verliert ein Unternehmen stark an Börsenwert, fliegt es auch mal aus dem Index und wird durch ein anderes ersetzt. So gehörten bei der Einführung 1988 noch Firmen wie Degussa, die Bayerische Vereinsbank und Karstadt zum DAX. Momentan führen SAP, Siemens und die Allianz den Index an. Letzterer ist übrigens ein Mitglied der ersten Stunde, ebenso wie BASF, Bayer und BMW.
Seit 2021 umfasst der DAX 40 Firmen
Vor knapp zwei Jahren wurde aus dem DAX30 der DAX40. Die Erweiterung war vor allem dazu gedacht, auch mal jungen deutschen Tech-Unternehmen Platz zu machen zwischen den traditionsreichen Industrie-Schwergewichten – sich also insgesamt breiter aufzustellen. Das Ganze glich fast einer historischen Umwälzung, hatte sich an der Zahl der Mitglieder doch zuvor mehr als 30 Jahre nichts geändert.
Mit den großen Weltindizes kann es der DAX größentechnisch aber längst noch nicht aufnehmen. Im MSCI World stecken die Aktien von mehr als 1.500 Unternehmen aus 23 Ländern, im noch breiteren MSCI ACWI sogar knapp 3.000 Aktien. Auch neben dem britischen FTSE, der aus 100 Werten besteht, und dem japanischen Nikkei mit 225 Werten erscheint der DAX eher schmächtig. Wieder andere Länderindizes sind dem DAX40 gar nicht unähnlich. Der französische CAC versammelt ebenfalls 40 Aktien, der spanische IBEX sogar nur 35 - und auch im amerikanischen Dow Jones stecken lediglich 30 Positionen.
Wer sein gesamtes Geld in einen ETF auf den DAX setzt, geht wegen der wenigen Werte also ein erhebliches Risiko ein. Doch scheint es, als sei man für dieses zumindest in der Vergangenheit reich belohnt worden: Startete der DAX im Juli 1988 mit (willkürlich festgesetzten) 1.000 Punkten, sind daraus bis heute 15.930 Punkte geworden (Stand: 12.7.23). Eine Versechzehnfachung binnen 35 Jahren. Aufs Jahr gerechnet entspricht das einer durchschnittlichen Rendite von 8,2%. Eine durchaus solide Leistung, die dem Geburtstagskind allerdings gern abgesprochen wird. Das Ganze basiere auf einer Schummelei, dem sogenannten “Dividenden-Trick”, heißt es dann etwa. Was hat es damit auf sich?
Ist die Rendite nur eine Täuschung?
Möchte man sich über die Wertentwicklung des DAX informieren, erscheint dieser standardmäßig als Performance-Index, auch genannt: Total-Return-Index. Anders als ein Kursindex berücksichtigt ein Performance-Index auch Dividenden. Das heißt: In die Berechnung der Rendite fließen neben dem Kurs auch die laufenden Ausschüttungen der enthaltenen Aktienunternehmen ein. Der Index geht davon aus, dass die Dividenden automatisch reinvestiert werden wie bei einem thesaurierenden ETF. Dadurch fällt die Wertentwicklung wesentlich höher aus, als wenn lediglich der Kurs dargestellt wird. Doch so machen es fast alle anderen bekannten Indizes. Sie kommen standardmäßig als Kursindizes daher, ihre Rendite berechnet sich also allein auf Basis der Kursbewegungen.
Das betrifft Länderindizes wie den Dow Jones oder den FTSE 100, aber auch globale Indizes wie den MSCI ACWI und den MSCI World. Vergleicht man beispielsweise letzteren mit dem DAX, ist der deutsche Leitindex scheinbar der klare Sieger.
DAX-Performance-Index vs. MSCI World Kursindex
In Wahrheit ist das glatter Unfug. Denn einem Performance-Index einen Kurs-Index gegenüberzustellen, ist ungefähr so sinnvoll wie einen Läufer mit verbundenen Augen zum Rennen antreten zu lassen. Vergleicht man stattdessen die Kursindex-Versionen der beiden Indizes, ergibt sich nämlich ein völlig anderes Bild:
MSCI World Kurs-Index vs. DAX Kurs-Index
Der MSCI World-Kurs ist von 2000 bis heute weit stärker gestiegen als der des DAX. Trotzdem bleiben beide Indizes hinter ihrer eigentlichen Wertentwicklung (inkl. Dividenden) zurück. Wie stark, wird deutlich, wenn man den DAX in seinen zwei Versionen gegenüberstellt. Ohne Dividenden beläuft sich die Wertentwicklung seit 1999
lediglich auf 54%, mit Dividenden sind es ganze 200%. Aufs Jahr gerechnet bedeutet das 5% Durchschnittsrendite für den Performance-Index und 2% für den Kurs-Index.
DAX Performance-Index (inkl. Dividenden) vs. Kurs-Index (ohne Dividenden)
“Das Problem liegt bei den anderen Indizes”
Allein wegen der Dividenden (2023 waren es mehr als 50 Mrd. Euro) konnte sich der Performance-Index bis heute also im Wert verdreifachen. Trickst der DAX also tatsächlich und bauscht seine Performance künstlich auf, um sich in ein besseres Licht zu rücken? Auch das ist, mit Verlaub, Unfug. Viel eher müsste man sagen: Der DAX macht es als einziger Index richtig.
Warum eine Kursrendite für die Privatanleger relevant sein soll [...] wissen die Götter"Gerd Kommer
Davon ist auch der Investmentbanker Gerd Kommer überzeugt. “Die DAX-Rendite ist keine Täuschung”, sagt der Vermögensverwalter. Und: “Es war richtig, den DAX in seiner Grundversion als Total-Return-Index zu schaffen.” Das Problem liege eher bei anderen Indizes. Grundsätzlich, sagt Kommer, sollten alle Aktien- und Anleihenindizes in ihrer Grundversion Total-Return-Indizes sein. “Warum eine Kursrendite für einen Privatanleger relevant sein soll, seltene Spezialkonstellationen mal ausgenommen, wissen die Götter.” Abgesehen davon, könne man sich die DAX-Kursversion auch leicht besorgen. Und in der Tat reicht dazu eine schnelle Google-Suche. Doch sei solch ein Index bei Wertpapieren “kein wirklich hilfreicher” und “eigentlich ein falscher Maßstab” für die Rendite.
Warum der Kurs allein nicht reicht
Warum reicht es nicht, allein auf die Kurse von Indizes zu schauen? Ganz einfach, weil diese von der Höhe der Dividenden beeinflusst werden. Dividenden sind keine Bonuszahlungen, die Anleger obendrauf bekommen und die man deswegen zum Vergleich von zwei Indizes ignorieren könnte. Denn sobald eine Dividende ausgeschüttet wird, verringert sich automatisch der Wert der Aktiengesellschaft und damit ihr Börsenwert. Der Kurs der Aktie fällt um die Höhe der Dividende. Steht der Kurs eines Unternehmens beispielsweise bei 50€ und schüttet dieses nun eine Dividende von 2€ pro Aktie aus, fällt der Kurs am selben Tag auf 48€. Das ist nicht immer ersichtlich, weil an der Börse so rege gehandelt wird, dass der Unterschied oft direkt wieder verschwimmt, weil der Kurs Sekunden später wieder angestiegen ist. Dennoch haben Dividenden – je nach Höhe – einen erheblichen Einfluss auf den Kurs.
Ein MSCI World-Kursindex verzeichnet also in seinem Graphen die mehr oder weniger ersichtlichen Kursrückgänge durch Dividendenausschüttungen – nicht aber die Einnahmen in gleicher Höhe, die die Ausschüttungen gleichzeitig gebracht haben. Folglich steht der Index viel schlechter da, als er eigentlich gelaufen ist.
DAX-ETF (inkl. Dividenden) vs. MSCI World-ETF (inkl. Dividenden)
Kursindizes haben auch ihre Berechtigung
Der DAX in seiner Grundversion inklusive Dividenden ist also keine Mogelpackung. Mogelei wäre es, den DAX-Performance-Index mit einem Kurs-Index des MSCI World zu vergleichen, um ihn als vermeintlichen Champion dastehen zu lassen. Und genau das geschieht in den Medien leider immer wieder - sei es für eine gute Schlagzeile oder aus Unwissenheit.
Richtig wäre es, stets die Performance-Indizes, also die Total-Return-Versionen von Indizes miteinander zu vergleichen. Oder, falls man es ganz genau wissen möchte, die Net Total Return-Indizes, die zusätzlich die Kapitalertragsteuern abziehen, die bei den Ausschüttungen angefallen wären. So können Anleger genau herausfinden, wie viel Ertrag ihnen ein bestimmter Index in der Vergangenheit eingebracht hätte.
Völlig unsinnig sind Kursindizes indes nicht. Sie eignen sich zum Beispiel für Investoren, die einfach gern den Preis wüssten, bei dem ein Index gerade steht. Um abzuwägen, wie viele Anteile sie kaufen oder wann genau sie einsteigen möchten. Entscheidend ist am Ende nur, den kleinen, aber doch gewaltigen Unterschied zwischen Kurs- und Performance-Indizes zu kennen - und eine grelle Schlagzeile manchmal besser zweimal zu lesen und nochmal zu überprüfen. Selbst dann, wenn sie verpackt sind in Geburtstagsglückwünsche.
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Kommentare (1)
A
Anonym
sagt am 17. Juli 2023
Im Falle eines thesaurierenden ETF auf den MSCI World wäre demnach der Vergleich von dessen Kursentwicklung mit dem Index selbst ebenso nicht korrekt, weil der ETF ja alle Gewinne (Dividenden) wieder reinvestiert?
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