
#215 Ist Tagesgeld nicht mehr sicher? Die Greensill Capital Insolvenz
Wie das mit der Einlagensicherung in der Praxis abläuft, haben viele Anlegerinnen und Anleger nach der Insolvenz der Greensill Bank erlebt. Rund 500 Millionen Euro stehen auf dem Spiel.
Wir sprechen mit einem Betroffenen – und rollen auf, wie die Greensill Capital AG erst einen rasanten Aufstieg feierte und dann tief fiel. Besondere Aufmerksamkeit erregte der Fall auch, weil viele öffentliche Gelder betroffen sind: Rund 40 Gemeinden in Deutschland haben Geld bei Greensill geparkt. Ob sie es zurückbekommen, wird vor Gericht entschieden.
Die Pleite von Greensill Capital in Kürze
Die Insolvenz von Greensill Capital ist eine der größten Bankenpleiten der letzten Jahrzehnte: Vor der Insolvenz wurde Greensills Bilanzsumme auf rund viereinhalb Milliarden US-Dollar geschätzt wurde. Das Geschäftsprinzip der Mutterbank waren Lieferkettenfinanzierungen. In Deutschland betrieb die Tochter, die Greensill Bank AG in Bremen, vor allem Tagesgeldkonten. Besonders ist, dass viele Gläubiger wohl auf ihrem Schaden sitzen bleiben werden wegen der sehr hohen Einlagen.
Das Ausmaß + wer betroffen ist
Involviert sind unter anderem große Namen wie Credit Suisse und Softbank. Weltweit sind Kunden, Partner und Tochtergesellschaften betroffen. Deutsche Gemeinden haben teilweise sehr hohe Geldmengen (Steuergelder) bei Greensill geparkt, um Strafzinsen anderer Banken zu vermeiden. Die BaFin deckte im März ‘21 auf, dass die Greensill Bank insolvent ist. Laut Insidern standen zu diesem Zeitpunkt rund 500 Mio. Euro auf dem Spiel.
Rund 40 Städte und Gemeinden in Deutschland haben Greensill Geld überwiesen, z. B.:
die Gemeinde Pöcking mit 5.000 Einwohnern hatte 5 Mio. Euro bei Greensill eingelagert,
die Stadt Köln 15 Mio. Euro und das Land Thüringen 50 Mio. Euro.
Über Greensill Capital
Die Mutterbank heißt Greensill Capital, sitzt in London und wurde 2011 von Lex Greensill gegründet. Greensill Capital wurde als eines der begehrtesten Finanz-Startups gefeiert. 2018 war es 1,5 Mrd. Dollar wert.
Der Gründer Lex Greensill
Lex Greensill wächst als Sohn von australischen Großbauern in Queensland auf. In Reden verkaufte er es gerne so, dass seine Eltern oft finanzielle Engpässe hatten und er deshalb in die Finanzwelt wollte. Nach dem Studium hat er seinen Plan umgesetzt und ein Start-Up gegründet. Seine Geschäftsidee: die Lieferkettenfinanzierung.
Lex Greensill zieht nach London, arbeitet zunächst als Investmentbanker, macht sich 2011 selbständig, baut die Bank Greensill Capital rasend schnell auf. Von 2014 bis 2020 verelffacht sich die Bilanz von 286 Mio. auf 4,5 Mrd. Euro (Quelle: Bundesanzeiger). Prince Charles schlägt Lex Greensill 2018 zum Ritter, für seine Verdienste um die britische Wirtschaft. Drei Jahre später folgt der Skandal und Lex Greensills Image zerbricht.
Das Konzept von Greensill Capital: Lieferkettenfinanzierung
Greensill übernimmt offene Rechnungen in Lieferketten, wo Unternehmen sonst oft Wochen warten müssen. Greensill zahlt sie direkt und kassiert eine Provision. Diese Deals müssen vorfinanziert werden, also muss Greensill für genug Leverage sorgen. Deshalb bündelt Greensill die Rechnungen zu Verbriefungen und verkauft sie an Fonds, unter anderem an Credit Suisse.
Eine weitere Finanzierungsmethode von Greensill: Reverse Factoring. Hier gibt Greensill einen Kredit an ein Unternehmen aus und übernimmt als Sicherheit die Forderungen an Dritte. Die Bonität wird mit einer Software geprüft, der Vorgang ist natürlich ziemlich riskant.
Allein 2020 hat Greensill nach eigenen Angaben rund zehn Millionen Kunden Finanzierungen in Höhe von mehr als 143 Milliarden Dollar verschafft.
Trotz allem: Nach außen hin stand Greensill Capital super da. Auch die Bremer Greensill Bank AG stand gut da: 130 Mitarbeiter, 4,5 Mrd. Euro Jahresumsatz, zieht immer mehr Kunden an, Ratingagenturen geben Greensill sehr gute Ratings – dem Anschein nach hat Greensill eine solide Eigenkapitalquote.
Viele Kundinnen und Kunden sind über Portale wie Zinspilot und Weltsparen zu Greensill gekommen, weil die Bank mit attraktiven Zinsen aufs Festgeldkonto geworben hat. Rund drei Mrd. Euro hat die Greensill AG so eingesammelt. Das deutsche Geschäft hat die Lieferkettenfinanzierung der Mutterbank im Kern abgesichert – mit den Einlagen deutscher Sparer.
*Transparenzhinweis:
Finanzfluss hat eine Werbepartnerschaft mit Zinspilot. In diesem Zusammenhang haben wir im Podcast das Tagesgeldkonto der Greensill Bank werbend erwähnt. Wir raten, dass ihr euch bei jedem Angebot genau informiert. Uns lagen natürlich keine Informationen über die Missstände vor.
Chronik der Ereignisse
Journalisten weisen früh darauf hin, dass die Berichte und Bilanzen von Greensill nicht ganz stimmig sind und die Bilanz sich extrem schnell entwickelt hat. Der Geschäftsbericht der Greensill Bank ist öffentlich im Bundesanzeiger verfügbar – es hätte also auch früher auffallen können. Doch selbst Kämmerer in Gemeinden, denen es vielleicht hätte auffallen können, wurden geblendet und haben Geld bei der Greensill Bank geparkt.
Greensill konnte die Forderungen seiner Kunden offenbar ab einem bestimmten Punkt nicht mehr begleichen und rutschte in die Zahlungsunfähigkeit. Auch die Schweizer Credit Suisse hat mit Greensill Geschäfte gemacht und seit 2017 Greensill Fonds für zehn Mrd. Euro verwahrt. Anfang März 2021 teilt Credit Suisse dann mit, dass für einen Teil der Vermögenswerte in den Fonds erheblichen Unsicherheiten in Bezug auf ihre Bewertung besteht.
Im Frühjahr 2020 fängt die BaFin an, Unstimmigkeiten bei Greensill genauer zu untersuchen. Doch es dauert fast ein Jahr, bis die Greensill Bank geschlossen wird. Die erste Mitteilung der BaFin war ein Moratorium mit dem Hinweis, dass möglicherweise Betrug im Spiel sei.
Die Frage steht im Raum: Hat Greensill die Zahlen gefälscht und bei der Finanzierung von Lieferketten geschummelt?
Die BaFin hat nach einer Sonderprüfung Greensill am 3 März 2021 stillgelegt und ein Insolvenzverfahren beim Amtsgericht Bremen beantragt. Als nächster Schritt wurde ein Entschädigungsfall festgestellt, sodass die Einlagensicherung zum Zug kommen konnte und Kunden ihr Geld bis zu 100k pro Person zurückerhalten konnten. Im Fall der gesetzlichen Einlagensicherung soll die Rückzahlung innerhalb von sieben Tagen passieren.
Viele der betroffenen Gemeinden haben Schadensersatz angefordert oder prüfen noch ihre Ansprüche – ihre Einlagen sind durch die Einlagensicherung nicht abgedeckt – seit 2017 sind Kommunen davon ausgenommen, weil sie laut Gesetzgeber über “notwendige Kenntnisse verfügen, Anlagerisiken einzuschätzen”.
Übrigens: In Gießen wurde von der Opposition eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht, weil die betroffene Oberbürgermeisterin sich nicht an die Anlagerichtlinien gehalten haben soll – die guten Ratings seien nicht genug gewesen, findet die örtliche FDP.
Weltweit sind Unternehmen, andere Kreditinstitute und Privatkunden betroffen. Einige der Kunden könnten nach dem Ende von Greensill in die Insolvenz rutschen, wenn sie keine alternative Finanzierung aufstellen können. In Australien, Großbritannien und Frankreich stehen Tausende Arbeitsplätze auf dem Spiel – in den Stahlwerken des größten Greensill-Kunden Sanjeev Gupta. Seine Gesellschaft schuldet Greensill rund fünf Milliarden Dollar und sucht neue Kreditgeber. Er war der größte Kunde und konnte mit Greensill seine Bilanz drücken.
Eine Insolvenz könnte auch den britischen Steuerzahler hart treffen: Mehr als eine Milliarde Pfund hat GB laut Financial Times an verschiedene beteiligte Firmen als Kreditgarantie ausgegeben.
Wie es weitergeht
Klaus Nieding, Anwalt, vertritt 20 der betroffenen Gemeinden mit einer Gesamtschadenssumme von ca. 90 Mio. Euro (ZDF Zoom Doku). Er rechnet damit, dass es schwierig wird und mindestens drei Jahre dauert, bis der Prozess durch ist. Im zins Prozess werden die Vertreter der Bank, Aufsichtsräte, Vorstände, Wirtschaftsprüfer, die BaFin und mehr befragt werden.
Ein Resteverkauf von Greensill Capital an US-Finanzinvestor Apollo ist gescheitert. BaFin und andere deutsche Kreditinstitute, die Teil der Einlagensicherung sind, prüfen Schritte gegen Greensill – das Ganze wird sich noch eine ganze Weile ziehen.
Learnings: Ist Tagesgeld nicht mehr sicher? Sind Strafzinsen unvermeidbar? Reform der Einlagensicherung?
Der Sicherungstopf der privaten Banken musste im Fall von Greensill greifen – Kritiker wollen, dass die Einlagensicherung reformiert wird, denn sie sichert Spargelder fast unbegrenzt bis 100.000 Euro.
Manche wollen Zinsplattformen stärker zur Verantwortung ziehen, sodass diese zumindest stärker über Risiken informieren müssen als bisher. Auch über einen Selbstanteil im Insolvenzfall (z. B. 15 Prozent) wird diskutiert. Denn: Dank der Einlagensicherung könnte es sein, dass Kundinnen und Kunden das Risiko ihrer Anlage unterschätzen.
“Strafzinsen” ist umgangssprachlich – offiziell heißt es “Verwahrentgeld”. Immer mehr Banken führen sie ein. Das niedrige Zinsniveau (Inflation) ist gut für Schuldner und schlecht für Sparer, das dürfte sich jedoch in naher Zukunft nicht ändern.
→ Man kann es natürlich statt als Festgeld an der Börse anlegen.
Shownotes
Sponsor: Zinspilot (inkl. Willkommensbonus)
Quellen
ZDF zoom: Die Pleite der Greensill-Bank
NZZ: Greensill Capital, die wichtigsten Entwicklungen
Handelsblatt: Greensill-Rettung ist gescheitert
Manager Magazin: Wer ist wer im Greensill-Drama?
Handelsblatt: Gründer Lex Greensill sagt “sorry” für Pleite – und schiebt Schuld auf Versicherung
Aufstieg und Fall des Lex Greensill
https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/cdn.kommunal.de/public/2021-05/Greensill-BankBaFinInfos_0.pdf
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/einlagensicherung-banken-greensill-zew-bankenverband-1.5295188
Kommentare (0)
Kommentar schreiben